Pressestimmen: Fall Daschner und Folterdiskussion
Berlin (ots)
Berlin. Das Ermittlungsverfahren gegen den Frankfurter Polizeivizepräsidenten Wolfgang Daschner wegen Folter-Vorwürfen muss nach Auffassung des Berliner Strafrechtlers Klaus Rogall eingestellt werden.
In einer Analyse des Falles für den Tagesspiegel (Samstagsausgabe) schreibt Rogall, Daschner könne sich zwar nicht auf einen "rechtfertigenden Notstand" berufen, wohl aber auf die so genannte Nothilfe, einen besonderen Fall der Notwehr. Diese rechtliche Situation habe Daschner "weiter gehende Befugnisse" verliehen, als er sie im Falle eines Notstands gehabt hätte. "An der Notwehrbefugnis ändert sich nichts, wenn man sich zur Verteidigung illegaler Mittel bedient", schreibt der Experte.
Eine Einstellung des Verfahrens befinde sich auch im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH). So habe der BGH die Notwehrrechte in Erpressungsfällen gerade deutlich gestärkt.
Anbei erhalten Sie den Beitrag Rogalls in voller Länge. Er steht Ihnen bei Nennung der Quelle zur Verwendung frei.
(Vorspann Tsp.) Der Fall Jakob von Metzler ist zu einem Fall Wolfgang Daschner geworden. Am Vorgehen des Frankfurter Polizeivizepräsidenten wird exemplarisch diskutiert, ob Beamte in extremen Situationen Gewalt androhen oder ausüben dürfen, um Leben zu retten. Der Berliner Strafrechtler Klaus Rogall hat für den Tagesspiegel den Fall Daschner analysiert. Der Autor hat einen Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht, Wirtschafts- und Umweltstrafrecht an der Freien Universität Berlin. (Vorspann Ende)
Im Mordfall Jakob von Metzler wird immer wieder angeführt, der Frankfurter Polizeivizepräsident Wolfgang Daschner könne sich auf einen "rechtfertigenden Notstand" berufen, als er dem Beschuldigten Magnus G. mit körperlicher Gewalt drohte. Diese Frage stellt sich jedoch überhaupt nicht. Denn hier geht es um eine Erscheinungsform der Notwehr: Die Notwehr für einen anderen, die so genannte Nothilfe. Die Nothilfe gewährt im Verhältnis zum rechtfertigenden Notstand weiter gehende Befugnisse. Der Angreifer - hier also Magnus G., der Jakob von Metzler der Freiheit beraubt und durch sein Handeln in Lebensgefahr gebracht hat - ist schließlich für die Lage seines Opfers verantwortlich. Die Abwehr des Angriffs auf Jakob trifft keinen Unbeteiligten, sondern wird auf Kosten dessen vollzogen, der für die Konfliktlage zuständig ist. Das alles kann für eine mögliche Strafbarkeit Daschners erhebliche Konsequenzen haben.
Daschner war weder nach Hessischem Polizeirecht noch nach der Strafprozessordnung zur Androhung oder Anwendung von Gewalt befugt. Das Fehlen einer öffentlich-rechtlichen Ermächtigungsgrundlage bedeutet allerdings noch nicht, dass Daschner auch bestraft werden kann. Vielmehr kommt für ihn strafrechtlich betrachtet Nothilfe in Betracht. Wohlgemerkt: Es geht nicht darum, ob er "foltern darf" - das "darf" er sicher nicht -, sondern nur darum, ob er für das bestraft werden kann, was er tat.
Ob sich Polizeibeamte bei ihrer dienstlichen Tätigkeit auf Notwehr berufen dürfen, ist sehr streitig, und zwar vor allem dann, wenn es - wie hier - um Nothilfe geht, die polizeiliche Tätigkeit also nicht dem eigenen Schutz, sondern dem Schutz von Bürgern dienen soll. Nach meiner Ansicht kann sich ein Polizeibeamter jedoch in einem konkreten Einzelfall auf Nothilfe berufen. Das ist dann aber allein seine Entscheidung. Eine dienstliche Weisung, Nothilfe zu üben, darf ihm nicht gegeben werden; befolgen müsste er eine solche Weisung nicht.
Wenn Daschners Annahme, dass Jakob noch lebt und in Gefahr ist, zutraf, liegen die Voraussetzungen der Nothilfe für sich betrachtet unzweifelhaft vor. Fraglich ist lediglich, ob das Nothilferecht aus sozialethischen Gründen einzuschränken ist, so dass Daschner sich im Ergebnis doch nicht darauf berufen kann. In Artikel 104 Grundgesetz heißt es ja: "Festgehaltene Personen dürfen weder seelisch noch körperlich misshandelt werden." Im Bereich des Notwehrrechts können derartige Einschränkungen jedoch keine so große Rolle spielen, weil sich die Abwehr hier gegen den Angreifer richtet. Beim rechtfertigenden Notstand dagegen müsste man zu einem anderen Ergebnis kommen, weil hier nur "angemessene Mittel" zulässig sind, um eine Gefahr ggf. auf Kosten Unbeteiligter abzuwenden. Der Fall, dass jemand einen anderen durch Drohung mit Gewaltanwendung zur Preisgabe deliktischen Wissens nötigt, also eine Art "kommunikative Gegenwehr", gehört jedenfalls bisher nicht zu den anerkannten Fallgruppen einer Einschränkung des Notwehrrechts. Der Bundesgerichtshof hat kürzlich die Notwehrbefugnisse gegenüber Erpressungen sogar deutlich gestärkt. Im Übrigen ändert es an der Notwehrbefugnis nichts, wenn man sich zur Verteidigung illegaler Mittel bedient.
Die Frage, wie der Fall zu entscheiden wäre, wenn gegen Magnus G. tatsächlich Gewalt angewendet worden wäre, stellt sich nicht, weil es dazu offenbar nicht gekommen ist. In so einem Falle würde sich die Frage einer Einschränkung der Nothilfebefugnis von neuem und möglicherweise anders stellen.
Da Jakob von Metzler jedoch bereits tot war, lag eine Nothilfesituation objektiv nicht vor. Daschner hat sich dies jedoch irrtümlich vorgestellt, weil er dachte, dass Jakob noch lebe. Dies lässt seinen Vorsatz entfallen. Daher kann er nicht wegen Nötigung oder Bedrohung bestraft werden, denn hierfür ist Vorsatz erforderlich. Ein fahrlässiges Delikt liegt nicht vor. § 343 StGB, die Aussageerpressung, greift ohnehin nicht ein, weil Daschner es nicht darauf angelegt hatte, Magnus G. zu einer Aussage oder zu einem Geständnis im Strafverfahren zu veranlassen; ihm ging es nur darum, den Ort in Erfahrung zu bringen, an dem Jakob gefangen war. Das Verfahren gegen Daschner kann daher aller Voraussicht nach nur mit einer Einstellung enden.
Jost Müller-Neuhof Redakteur Politik
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