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Pressestimmen: Gastkommentar der Grünen-Fraktionsvorsitzenden Katrin Göring-Eckardt zum Nachkriegsirak

Berlin (ots)

Obwohl ich diesen Krieg falsch finde, setze ich
meine Hoffnung auf ein Ende der irakischen Schreckensherrschaft und
auf ein Ende des Krieges mit möglichst wenigen Opfern. Die Frage von
Menschenrechten, Rechtsstaatlichkeit und Interventionismus berührt
nicht nur den Krieg im Irak. Es geht um die Maßstäbe, die wir für
unser außenpolitisches Vorgehen heranziehen, letztlich darum, in was
für einer Welt wir leben möchten. Der 11. September war das wirkliche
Ende der alten Ordnung. Mit dem World Trade Center brachen bisherige
sicherheitspolitische Vorstellungen in sich zusammen. Die Vereinigten
Staaten haben für sich eine von uns nicht geteilte Konsequenz aus dem
11. September gezogen. Diese lautet: Bevor Terroristen die USA
angreifen können, werden sie von den USA angegriffen. Bevor Staaten
mit Massenvernichtungswaffen drohen, werden sie bedroht. Und auch:
Die Wurzeln des Terrorismus liegen in rechtlosen Staaten. Wenn diese
zu Staaten des Rechts gemacht würden, dann würden dem Terror seine
Wurzeln entzogen. Auch die christlich- anmaßende Rethorik, mit der
diese Konsequenz vermittelt wurde, ist unangemessen. Wie die
Tatsache, dass andere Staaten in diesen Entscheidungsprozess gar
nicht erst einbezogen wurden. Der neue US- Unilateralismus hat zu
einem Krieg gegen den erklärten Willen der Mehrheit der
demokratischen Staaten geführt. Dieser eklatante Bruch ist so
gefährlich wie die mit einem Irak-Krieg selbst verbundenen Risiken.
Wenn wir die Konsequenzen der Bush-Administration nicht teilen, sind
wir als Deutsche und Europäer aber auch in der Pflicht, eine eigene
Antwort auf die Gefahren einer veränderten Weltlage zu geben. Europa
muss lernen, mehr Verantwortung zu übernehmen -politisch,
wirtschaftlich und militärisch. Dazu braucht es innerhalb Europas
dringend einen offenen Dialog über die jeweiligen Interessen seiner
Mitglieder. Unterschiede müssen offen angesprochen und ein eigenes
Interesse formuliert werden. Die Gemeinsamkeit darf aber nicht darin
bestehen, Europa als Gegenpol zu den USA zu entwickeln. Ein
europäischer Sonderweg wäre ebenso falsch wie ein amerikanischer.
Enge transatlantische Beziehungen sind die Voraussetzung eines
starken Europas, nicht dessen Widerspruch. Ein sinnvolles Kriterium
für eine dauerhafte Partnerschaft ist die gemeinsame Identität der
Demokratien. Das ist eine Identität, die über zweifelhaften
Zuordnungen wie "altes Europa" oder "Neue Welt" stehen muss. Die USA
sind für uns ein zentraler Partner und eine wichtige befreundete
Nation. Dasselbe gilt für alle europäischen Staaten. Diese Intensität
der Partnerschaft kann nicht für jene Staaten gelten, die auf dem Weg
zur Demokratie noch einen weiten Weg zu gehen haben. Denn Frieden und
Menschenrechte sind untrennbar miteinander verbunden. Demokratien
garantieren Sicherheit und Stabilität, sichern die Herrschaft des
Rechts und die Würde des Menschen. Die Lehre des 11. September ist zu
Recht, dass eine Bedrohung der weltweiten Sicherheit in
unberechenbaren, instabilen Staaten lauert, die Terroristen
beherbergen, finanzieren und ausbilden. Es war richtig, in
Afghanistan zu intervenieren. Trotz aller Schwierigkeiten ist
Afghanistan heute auf einem hoffnungsvollen Weg zu einer staatlichen
Ordnung. Der Anspruch der Vereinigten Staaten, Demokratie zu fördern,
ist richtig. Die Demokratie als politisches System verdient einen
universellen Anspruch. Dafür haben Ostdeutsche und Osteuropäer lange
gestritten, dafür sind sie gemeinsam auf die Straße gegangen. Nicht
nachvollziehbar ist, warum die USA ihren Anspruch nicht dort geltend
machen, wo sie bereits einen deutlichen Einfluss haben wie in
Saudi-Arabien oder Kuwait. Beim Eintreten für Demokratie und
Menschenrechte muss glaubhaft gehandelt werden und ohne doppelte
Standards. Diplomatisches Engagement, enge Kultur- und
Wirtschaftsbeziehungen und eine Stärkung der Zivilgesellschaft sind
weit besser als militärische Mittel, um dieses Ziel zu erreichen.
Europa kann hier Vorbild sein und hat deshalb viel beizutragen. Die
Konsequenz muss auch eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem
Völkerrecht sein. Das Völkerrecht ist eine große historische
Errungenschaft. Es ist unser einziger Garant für internationale
Ordnung. Wir brauchen ein starkes Völkrerecht und starke Vereinte
Nationen. Das Problem ist allerdings: Die Mehrheit der Regierungen,
die das Völkerrecht setzen und auslegen, ist nicht demokratisch
legitimiert. Eine demokratische Weltinnenpolitik braucht ein
Völkerrecht, das ein Recht der Völker und nicht allein ein Recht der
Staaten ist. Wir benötigen eine ernsthafte Diskussion über eine
Reform des Völkerrechts in diesem Sinne. Und wir brauchen den
erklärten Willen der demokratischen Staaten, sich für Demokratie und
für Menschenrechte zu engagieren. Milosevic wurde nicht wegen,
sondern trotz des Völkerrechts zur Rechenschaft gezogen. Zentral
bleibt: Eine echte Mehrheit der demokratischen Staaten ist eine
Voraussetzung für jegliches internationale Engagement. Insofern waren
die Interventionen im Kosovo und in Afghanistan richtig. Alleingänge
sind keine Lösung. Kritik an den USA ist deshalb auch in Bezug auf
das Kyoto-Protokoll und den internationalen Strafgerichtshof
gerechtfertigt. Wir können den weltweiten Herausforderungen nur
gemeinsam begegnen. Wir brauchen eine neue Weltordnung mit einer
echten Weltinnenpolitik. Das können wir nur erreichen, wenn ein
starkes Europa und starke Vereinigte Staaten auf neuer Basis wieder
zusammenfinden. Denn uns eint weit mehr als uns trennt.
ots-Originaltext: Der Tagesspiegel

Rückfragen bitte an:

Der Tagesspiegel
Thomas Wurster
Chef vom Dienst
Telefon:030-260 09-419
Fax: 030-260 09-622
Email:thomas.wurster@tagesspiegel.de

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