Pressestimmen: Interview Scharping Wortlaut
Berlin (ots)
Herr Scharping, wären Sie Orchestermusiker geworden, dann müssten Sie jeden Tag mit einem Hörsturz rechnen, als Tennisspieler müssten Sie sich vor einer Sehnenscheidenentzündung in Acht nehmen. Mit welchen Gefahren hat ein Politiker zu kämpfen?
Werden Sie ruhig konkreter. Wir reden doch nicht über 650 Abgeordnete.
Nein, wir reden über Spitzenpolitiker.
Aber doch nicht über alle.
Sondern über Sie.
Also los.
Herr Scharping, woran leiden Sie?
Dass ich so selten gefragt werde, was mir Spaß macht!
Das kommt noch. Zuerst das Leiden.
Das ist wieder mal typisch deutsch. Auch wenn ich mir viel Mühe gebe, etwas zu finden: Ich leide eigentlich an gar nichts. Ich habe eine interessante Aufgabe, ich bin frei und beschwingt und glücklich verheiratet. Nur mit dem Kurs unseres Landes bin ich nicht ganz glücklich.
Den bestimmt Ihr alter Parteifreund Gerhard Schröder. Was stört Sie?
Auch wenn's schwer fällt, lassen Sie den Kanzler mal zur Seite. Unser Land steckt in großen wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen. Freiheit und eigene Verantwortung, stärkere Wirtschaftsleistung und angemessene Sicherheit, diese Grundorientierungen könnten in den politischen Entscheidungen besser sichtbar werden.
Wie sieht Ihre Aufgabe denn im Moment aus?
Politisch meinen Sie?
Ja.
Auswärtige Politik ist mein Schwerpunkt. Ich folge Einladungen in die Vereinigten Staaten, nach Russland, nach Israel, spreche mit langjährigen Freunden und Kollegen aus Parlamenten, in Regierungen, in der Wirtschaft dieser Länder und halte Vorträge an Universitäten und anderenorts.
Sie sind ein informeller Botschafter?
Nein, so kann man das nicht sagen, ich gebe Wissen und Erfahrungen weiter, die ich in den letzten Jahrzehnten gesammelt habe.
Sie sind jetzt gut ein Jahr nicht mehr Verteidigungsminister. Haben Sie Ihre Entlassung als Befreiung empfunden?
Ich empfinde es jetzt als befreiend, dass sich diese ganzen Vorwürfe, die mir letztes Jahr gemacht worden sind, als haltlos erwiesen haben. Das ist juristisch abschließend durchgefochten.
Sie meinen den Vorwurf, dass Sie von der PR-Agentur Moritz Hunzinger Zahlungen in Höhe von 70 000 Euro angenommen haben
schlimmer noch: ich sei bestechlich gewesen.
Das ist abgeschlossen?
Ja - und das Ergebnis war für mich eine vollständige Entlastung. Und gegen den "Stern" gab es einstweilige Verfügungen
der Ihnen letztes Jahr Mauscheleien mit der Rüstungsindustrie unterstellt hatte
und er hat diese Verfügungen schon im letzten Jahr als rechtskräftig und abschließend anerkannt, mit dem Ergebnis, dass das Magazin die Gerichtskosten und meine Anwältin bezahlen musste.
Wie würden Sie ihr heutiges Gefühl gegenüber Schröder beschreiben. Sind Sie eher wütend oder enttäuscht?
Weder das eine noch das andere. Vor einem Jahr war das vollständig anders. Das wollte ich im Wahlkampf aber nicht rauslassen. Das war sowieso genug Stress. Heide Simonis hat mal gesagt, in Stresssituationen bekomme sie immer Herpes.
Gibt Ihr Körper Ihnen auch solche Zeichen?
Wenn ich mich gestresst fühle, habe ich den Wunsch, aufs Fahrrad zu springen. Nach 20 Minuten ist der Stress weg.
Kennen Sie das Gefühl existenzieller Angst?
Ja sicher. Meine Mutter ist vor kurzem gestorben. Ich habe sicher auch Angst vor dem Tod. Meine älteste Tochter arbeitet in New York. Am 11. September 2001 hatte ich Angst um sie. Und wenn Rufmord betrieben wird, kämpft man immer auch um seine eigene Existenz.
Wer hat Rufmord betrieben?
Na ja, wir haben doch schon darüber gesprochen. Für heute soll das mal reichen.
Können Sie Ihre Angst zeigen?
Warum sollte ich Angst nicht zeigen? Warum sollte ich Glück nicht zeigen? Aus Vorsicht? Aus Furcht vor Häme? Wegen des giftig gelben Neids? Ich habe kürzlich einen ehemaligen Chefredakteur angerufen, der sich nach meinem Fahrradunfall lustig über mich gemacht hat. "Ich habe gehört, Sie sind mit dem Rad gestürzt?", habe ich gefragt. Er hatte sich wirklich verletzt. Und da hat Häme dann keinen Platz.
Und was hat der ehemalige Chefredakteur Ihnen geantwortet?
Zum Schluss haben wir beide gelacht.
Wie würden Sie sich heute einem Blinden beschreiben?
Zutreffend wäre, was kürzlich ein Mensch gesagt hat, der mich sehr gut kennt: Er ist nicht immer einfach, aber er hat eine Überzeugung. Das haben heute nicht alle. Und rein äußerlich: Der Bart ist ab. Ich bin lange wie auf einer Achterbahn gefahren, mit vielen schönen Ereignissen...
...Juso-Vorsitzender, SPD-Landesvorsitzender, erster sozialdemokratischer Ministerpräsident in Rheinland-Pfalz, jüngster Parteivorsitzender
ja, und dann fängt man an, die Politik für das richtige Leben zu halten. Ihre musischen und kulturellen Interessen kommen zu kurz. Aber was das Schlimmste ist, man fängt an, die Menschen um sich herum, vor allem die eigene Familie, zu überfordern. Oder anders gesagt: Man sendet nur noch, man empfängt nicht mehr. Schauen Sie abends in die Tagesschau oder reden Sie mit Spitzenpolitikern. Sie werden wissen, was ich meine.
Wir reden gerade mit einem.
Und der redet über seine Erfahrungen und über die Schlüsse, die er daraus zieht. Vor zwei Jahren hieß es, Sie hätten die Öffentlichkeit mit Ihren Mallorca-Bildern in der "Bunten" ein wenig überfordert. Das Kabinett hatte am selben Tag einen umstrittenen Bundeswehreinsatz zur Entwaffnung albanischer Rebellen beschlossen. Ich rede jetzt nicht noch einmal über die Bilder und die unglücklichen Umstände, in die sie hineingeraten sind. Und wissen Sie. Ich sitze oft im Flugzeug, was den Vorteil hat, dass man da auch mal die bunten Blätter durchschauen kann. Und das ist wirklich interessant. Denn mittlerweile ist die Präsentation glücklicher Lebensumstände anhand eines Badeurlaubs Standard geworden.
Sie waren da also ein Trendsetter?
Das wollte ich gar nicht. Ich war wohl der erste. Allgemein gesagt: Sie erinnern sicher den Satz von Michail Gorbatschow. "Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben." Dem könnte man hinzufügen: Wer politisch zu früh kommt, den bestraft die Partei. Ich war oft zu früh dran: Beispielsweise 1991 war Haushaltskonsolidierung noch nicht populär, 1992 der Asylkompromiss auch nicht oder 1999 der Kosovokrieg und die beginnende Reform der Bundeswehr. Aber all das war richtig.
Sie sehen sich als Vordenker der neuen SPD?
Wir müssen ja nicht übertreiben, aber es gibt gute Gründe dafür, das Grundsatzprogramm der SPD neu zu schreiben, und dafür, dass ich dabei mitwirke.
Sie kennen bestimmt das Buch von Herlinde Koelbl "Spuren der Macht". Haben Sie die Bilder berührt?
Eigentlich nicht. Warum sollten sie?
Weil sie zeigen, wie sich Menschen verändern, wie die Politik sich in die Gesichter eingräbt.
Diese Bilder könnten Sie auch mit Managern machen, mit Facharbeitern oder Künstlern. Was Sie da sehen, sind ganz normale Lebensprozesse. Ich würde das nicht mit der Politik erklären.
Im Gespräch mit Frau Koelbl sagt Joschka Fischer, Politiker seien die Menschen mit den schmalen Lippen, weil sie
Da hat er aber nicht sich selbst porträtiert?
immer so viel runterschlucken müssen.
Wir führen alle aus, und wir müssen alle mal schlucken. Uns zwingt niemand zu diesem Beruf. Die meisten haben Schwierigkeiten damit, eines zu akzeptieren. Man übernimmt Verantwortung und muss sich darüber klar sein, was man in dieser Zeit erreichen will, denn danach ist man die Verantwortung wieder los. Das kann durch Wahlen passieren, durch Entlassung oder durch Tod. Und gerade diejenigen, die sich im Geschichtsbuch unsterblich machen wollen, haben nicht immer Gutes bewirkt.
Es gibt Ausnahmen von dieser Regel.
Sicher, aber das ergibt sich erst aus der historischen Rückschau. Adenauer: Westintegration, Brandt: Ostverträge, Kohl: deutsche Einheit, und bitte nicht vergessen, Helmut Schmidt hat unser Land in zwei weltwirtschaftlichen Krisen hervorragend geführt.
Und Scharping?
Ich bin nichts fürs Geschichtsbuch. Mir ist nur wichtig, mir nicht untreu geworden zu sein.
In Momenten, in denen man herbe Kritik einstecken muss, verhärtet man sich da? Für mich ist der äußere Druck nicht das Belastendste. Schlimmer ist, wenn der Kampf um Macht, um immer mehr Macht, Menschen, die einmal Überzeugungen hatten, zu Verrätern an der Sache macht.
Das klingt jetzt sehr nach Lafontaine
Im Gegenteil, der hat den SPD-Vorsitz weggeworfen, wie ein schmutziges Hemd. Wem der beiden Widersacher, Schröder oder Lafontaine, stehen Sie heute näher? Das ist nicht mein Maßstab. Ich bin mit meinen Überzeugungen mitten in der SPD und orientiere mich lieber an der Zukunft.
Sie haben eine ganz schön dicke Haut.
Ja, Sie müssen nur etwas dagegen tun, dass die immer dicker wird und die Hornhaut das Rückgrat ersetzt.
Fahren Sie in den Urlaub?
Ja, mit meiner Frau nach Mallorca.
Ihr Nachfolger Peter Struck feiert derweil Erfolge als Blues- Brothers-Imitator. Neidisch?
Ach, ihr im Journalismus freut euch doch über so was. Der Peter macht seine Sache schon richtig. Und ihr verliert doch hoffentlich nicht die Gabe, zwischen Ornament und Substanz zu unterscheiden.
Glauben Sie, dass das Ornamentale der Sache nutzt oder davon ablenkt?
Also, was mich viel mehr bekümmert, ist die Art und Weise, wie Politik ihren Charakter verändert. Es gibt ja mittlerweile Leute, die reden von Ereignismanagement, man könnte auch sagen Ablenkungsmanagement. Da geraten Grundüberzeugungen, so es sie gibt, in den Hintergrund. Es wird nicht mehr gefragt, was muss verbessert werden, es wird gefragt, was läuft schlecht, wen kann man dafür zur Verantwortung ziehen.
Konkreter: Ist Struck Ihrer Meinung nach ein guter Verteidigungsminister?
Doch, das ist er. Wissen Sie, wenn man es sich genau anguckt: Nach meiner Entlassung ist noch keine Weiche anders gestellt worden. Man fährt auf den gelegten Gleisen, vielleicht hier und da ein bisschen langsamer, oder es werden andere Fähnchen aus dem Fenster gehängt, aber die Gleise, die Richtung, die ist die gleiche und die richtige.
In einem Gespräch mit Günter Gaus hat Franz Müntefering einmal gesagt, Ihr größter Fehler sei gewesen, Verteidigungsminister zu werden.
Hat er das wirklich gesagt? Dann hätte der Franz ja an dem Fehler kräftig mitgewirkt. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass der Franz Loyalität als Fehler sieht. Übrigens, kennen Sie diesen Witz? (Scharping malt eine Schlangenlinie.) Was ist das?
Eine Schlange?
Nein, der Kurs der Partei. (Er malt eine gerade Linie durch die Schlangenlinie.) Und was ist das? - Die Abweichler!
Und wo würden Sie sich einordnen?
Ich war wohl öfter bei den Abweichlern. Wenn ich Leute einstelle, will ich phantasievolle und ungewöhnliche Leute finden. Ich frag immer nach den drei letzten Büchern.
Welches sind Ihre drei letzten Bücher?
Das waren alles politische Fachbücher, die mit dem Irak, dem Nahen Osten und dem Islam zu tun haben, also Teil des Jobs. Sie hätten sich also nicht eingestellt. Mit welcher Geschichte könnten Sie überraschen?
Das erste Mal war ich so mit 16 Jahren von mir sehr überrascht. Ich habe auf der Straße jemandem ein blaues Auge geschlagen, obwohl ich bis dahin immer dachte, ich sei ein friedfertiger Mensch.
Ist Ihnen die Hand ausgerutscht?
Ne, ich hab nur gedacht, jetzt ist Feierabend, jetzt musst du dich mal wehren!
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