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Der Tagesspiegel: Renate Künast zum Konflikt in der Bundesregierung über die grüne Gentechnik

Berlin (ots)

Verbraucherministerin Renate Künast (Grüne) besteht
darauf, den Verbrauchern die Wahl zwischen gentechnisch verä nderten
und gentechnikfreien Lebensmitteln zu lassen. Im "Tagesspiegel"
kritisierte sie die EU-Kommission scharf, dass diese "nicht den Mut
aufgebracht hat" Regeln zur Koexistenz zu erarbeiten sondern "nur
unverbindliche Leitlinien" formulierte. Sie warnte vor einer
Strategie, "die dazu führt, dass sich die genetisch veränderten
Organismen schleichend ausbreiten".
Die Zitate sind von sofort an bei Nennung der Quelle zur
Verwendung frei. Im folgenden finden Sie das ganze Interview im
Wortlaut:
Die Europäische Union verlangt, dass Lebensmittel gekennzeichnet
werden müssen, wenn sie mehr als 0,9 Prozent gentechnisch verändertes
Material enthalten. Wozu braucht es ein neues Gentechnikgesetz?
Wir sind uns mit der Europäischen Kommission einig, dass wir
Regeln zur Koexistenz brauchen. Um eine gentechnikfreie und eine
gentechnisch veränderte Landwirtschaft nebeneinander existieren zu
lassen, reichen die Kennzeichnungspflicht und die Rückverfolgbarkeit
der Lebensmittel nicht aus. Wir wollen, dass Verbraucher die Wahl
haben.
Das Forschungs- und das Wirtschaftsministerium werfen Ihnen vor,
die grüne Gentechnik verhindern zu wollen.
Weltweit wird grüne Gentechnik auf 60 Millionen Hektar angebaut.
Die Frage ist nicht, ob Gentechnik existiert. Wir haben uns in der
Koalition entschieden, Wahlfreiheit und Koexistenz zu organisieren.
Um diese zu ermöglichen, müssen wir sicherstellen, dass es noch
gentechnikfreie Produkte gibt - egal ob bei Saatgut oder
Lebensmitteln.
Wo sehen Sie die größten Probleme?
Es muss ein Standortregister geben, das schreibt schon die EU-
Freisetzungsrichtlinie vor. Außerdem reden wir über Haftungsfragen,
den Schutz ökologisch sensibler Gebiete und die wissenschaftliche
Begleitung des Anbaus gentechnisch veränderter Organismen (GVO). Wenn
zwei Felder nebeneinander liegen und die Pollen vom einen auf das
andere fliegen, ist das bisher kein Problem. Doch wenn es ein GVO-
und ein gentechnikfreier Acker sind, hat der konventionell oder
ökologisch wirtschaftende Bauer einen finanziellen Nachteil, wenn die
Pollen fliegen. Der Ökobauer, weil für ihn Gentechnik verboten ist.
Wer als konventioneller Landwirt Lieferverträge hat, die
Gentechnikfreiheit verlangen, hat ebenfalls seinen Schaden. Diesen
Schaden kann nicht der Geschädigte tragen.
Vor kurzem ist eine britische Studie veröffentlicht worden, die
nachweist, dass die biologische Vielfalt abnimmt, wenn
herbizidresistente Sorten angebaut werden.
Die von der Regierung in Auftrag gegebene Studie hat eine riesige
Diskussion ausgelöst. Die Studie stellt fest, dass die alte
Arbeitsthese "Gentechnisch veränderte Pflanzen sind gut für die
Umwelt, weil Pflanzenschutzmittel gezielter eingesetzt werden können"
nicht stimmt, im Gegenteil.
Wie wollen die anderen EU-Staaten die Koexistenz regeln? Gibt es
Absprachen?
Derzeit beobachtet jeder jeden, besonders bei den
Koexistenzregeln. Deshalb finde ich, dass die Kommission ihrer
Verantwortung nicht gerecht wurde, als sie nur unverbindliche
Leitlinien formuliert hat. Sie hat aber nicht den Mut aufgebracht,
verbindliche Regeln zu entwerfen.
Gleichzeitig versucht die Kommission über die Saatgutrichtlinie
Fakten zu schaffen, die eine Koexistenz schwer machen werden. Wie
wird sich Deutschland im EU-Saatgutausschuss bei der geplanten
Probeabstimmung verhalten?
Wir wollen, dass die 0,9 Prozent, die als zulässige gentechnische
Verunreinigung für die Kennzeichnung von Lebensmitteln beschlossen
worden ist, auch zu halten sind. Das Abstimmungsverhalten
Deutschlands ist noch in der Ressortabstimmung. Aber natürlich gibt
es auch Fragen an die Kommission. Zum einen haben wir rechtliche
Zweifel daran, dass sie mit dem Plan, die Schwellenwerte für eine
gentechnische Verunreinigung von Saatgut zwischen 0,3 und 0,7 Prozent
im Saatgutausschuss festzulegen, das korrekte Verfahren gewählt hat.
Inhaltlich ist zudem die Frage, ob 0,9 Prozent bei Lebensmitteln mit
diesen Schwellenwerten im Saatgut einzuhalten sind. Das müssen auch
die EU-Wissenschaftler beantworten Es darf keine Strategie gefahren
werden, die dazu führt, dass sich die genetisch veränderten
Organismen schleichend ausbreiten. Wahlfreiheit fängt beim Saatgut
an.
Die Saatgutkonzerne argumentieren, dass gesundheitliche Schäden
bisher nicht aufgetreten sind, und ihre Pflanzen gegen den Welthunger
helfen. Kann man da dagegen sein?
Die Tragik ist: Der größte Teil der Menschen, die hungern lebt,
auf dem Land und arbeitet in der Landwirtschaft. Es gibt riesige
Anbauflächen, auf denen Exportprodukte für den Norden angebaut und
Löhne gezahlt werden, von denen niemand leben kann. Wenn man den
Menschen Land und Saatgut gäbe, könnten sie sich auch selbst
ernähren. Es gibt genug Nahrung auf der Welt. Sie ist nicht richtig
verteilt.
Inhaltliche Rückfragen richten Sie bitte an:
Der Tagesspiegel, Ressort Politik, Telefon 030/26009-389
ots-Originaltext: Der Tagesspiegel

Rückfragen bitte an:

Der Tagesspiegel
Thomas Wurster
Chef vom Dienst
Telefon: 030-260 09-419
Fax: 030-260 09-622
Email: thomas.wurster@tagesspiegel.de

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