All Stories
Follow
Subscribe to Der Tagesspiegel

Der Tagesspiegel

Der Tagesspiegel: „Die SPD im Keller freut uns nicht“ - PDS-Chef Bisky im Interview über falsche Reformen, Konkurrenz von einer Linkspartei und rot-rote Aussichten

Berlin (ots)

Herr, Bisky, wir lesen Ihnen noch mal vor, wie die
Brandenburger bei der Europawahl abgestimmt haben: Die PDS lag mit
30,8 Prozent vorn, auf Platz zwei kam mit 24 Prozent die CDU , die
SPD abgeschlagen bei 20,6 Prozent. Was machen Sie, wenn die
Landtagswahl in Brandenburg ähnlich ausgeht? Ich bin kein
Traumtänzer. Jede Wahl ist anders. Mein Ziel ist, dass wir im Herbst
besser werden als 1999. Den Wahlsieg in Brandenburg möchte ich noch
nicht verkünden. Ihnen hat aber doch die geringe Wahlbeteiligung
geholfen? Auch das, selbstverständlich. Und ich freue mich, dass es
gelungen ist, die Wähler der PDS zu mobilisieren. Das ist zuweilen
schwieriger geworden, als neue Anhänger zu gewinnen. Sorgt Sie die
Schwäche der SPD? Wir können uns nicht freuen, wenn die SPD in den
Keller geht und das konservative Lager durchmarschiert und auf lange
Zeit an der Macht bleibt. Die CDU bestimmt, die FDP wird ihr folgen,
und die Grünen sind längst auf dem Sprung in die konservative Ecke.
Sozialer als Rot-Grün wäre dies alles nicht. Ich bin nicht
interessiert an einer schwachen Sozialdemokratie. Das mögen Leute
wollen, auch in meiner Partei, die ganz kurzsichtig sind. Aber die
brauchen dann ein Fernglas oder eine Brille. Was raten Sie dem
Kanzler? Wir haben ja unsere eigene Erfahrung mit sturen politischen
Linien unabhängig von Realitäten. Die SPD bräuchte jetzt den Mut,
ihre Reformen zurückzunehmen. Will Schröder eine Chance haben, muss
er der sozialen Gerechtigkeit eine Chance geben. Deshalb wäre ich
froh, wenn die SPD einen Kurswechsel vornimmt, auch wenn uns das
Stimmen kosten sollte. Ich lebe nicht allein für die Wahlergebnisse
und auch nicht für die Umfragen. Der Erfolg der PDS hat auch damit zu
tun, dass sie im Wahlkampf auf die Protestkarte gesetzt hat. Ich
verteidige das Menschenrecht auf Protest, das in Deutschland zu
Unrecht einen schlechten Ruf hat. Gegen die Agenda 2010 ist Protest
nötig. Die Lektion aus der Niederlage 2002 sei gelernt, sagten Sie in
einer ersten Analyse nach der Wahl. Was heißt das? Unser Profil war
klarer als im Bundestagswahlkampf, wir kamen mit weniger Gesichtern
auf den Plakaten aus und haben uns auf wenige Themen wie soziale
Gerechtigkeit und Frieden konzentriert. Und dann haben wir beherzigt,
dass die Basis für unseren Erfolg im Osten liegt. Dort haben die
Wähler jetzt wieder das Gefühl, dass wir uns um sie kümmern.
Andererseits haben Sie sich offenbar vom Projekt West-Aufbau
verabschiedet. Dort versuchen Sie zwar ihre Position durch Bündnisse
zu stärken, mit Gewerkschaften, mit Attac, mit den Linkspartei-
Initiativen. Doch Sie bekommen Körbe in Serie. Weder das eine noch
das andere ist wahr. Das Verhältnis zu den Gewerkschaften hat sich
entschieden verbessert. Ich hatte Treffen auf höchster Ebene, etwa
mit Jürgen Peters, Frank Bsirske oder Eva- Maria Stange. Was Attac
angeht: Wir stehen für gemeinsame Aktionen zur Verfügung. Wenn wir,
wie am 3. April bei den Demonstrationen gegen Sozialabbau, unsere
Leute auf die Straße bringen, bekommen wir keinen Korb, sondern sind
herzlich willkommen. Und im Westen hatten wir bei der Europawahl
einen relativen und absoluten Stimmenzuwachs. Wir kommen in kleinen
Schritten voran. Mit den Linkspartei-Initiativen bahnt sich doch
ernsthafte Konkurrenz an. Ich habe da bisher keine großen Probleme –
und sehe das sachlich. Es gibt mit der PDS eine Partei links neben
der SPD. Falls sich andere Parteien gründen, will ich gerne
Möglichkeiten der Kooperation ausloten. Wenn es allerdings
ausschließlich um Protest geht, werden wir als PDS Nein dazu sagen.
Die Frage bleibt: Tritt eine neue Linkspartei bei der Bundestagswahl
2006 an – und vermasselt Ihnen den angepeilten Erfolg? Wir müssen die
Fünf-Prozent-Hürde nehmen, das ist mein Ziel. Und da sollten beide
Parteien nicht blöd sein, sondern den Realitäten in der
Bundesrepublik Deutschland Rechnung tragen. Was bieten Sie denn 2006
Gregor Gysi an? Die PDS wäre bescheuert, wenn sie gute Talente, die
sie hat, einfach so liegen lässt. Ich plädiere dafür, dass Gysi
zurückkommt. Alles Weitere wird im nächsten Jahr besprochen.
Kommt im Herbst in Brandenburg Rot-Rot? Ich glaube noch nicht so
recht daran. Die SPD tut gerade alles, um drittstärkste Kraft im
Osten zu werden. Regine Hildebrandt ist weg, und die SPD hat auch ihr
Erbe relativ schäbig beiseite geschoben. Brandenburg stand für
Toleranz und Liberalität, jetzt steht es für V- Mann-Affären und
Viceoüberwachung. Die SPD ist zur Hilfsbrigade von CDU-Landeschef
Schönbohm geworden. Warum stellen Sie nicht, wie schon für Erfurt und
für Dresden, einen eigenen Ministerpräsidenten-Kandidaten auf? Nicht
dass wir nicht die Leute hätten. Aber wir bleiben mit beiden Beinen
auf dem Boden und werden uns nicht mir irgendwelchen Höhenflügen dem
Gespött der Leute preisegeben. Sie reden um den heißen Brei herum:
Ist der Wechsel in Brandenburg überhaupt Ihr strategisches Ziel?
Unser Ziel ist nicht Machtpolitik. Für mich ist nicht entscheidend,
ob die PDS Minister oder Ministerpräsidenten stellt. Die Frage ist,
ob es gelingt, Schritte zu sozialer Gerechtigkeit oder sozialer
Gleichheit zu unternehmen. Dafür würde ich jedes Risiko eingehen. Der
Potsdamer Regierungschef Matthias Platzeck hat Rot-Rot nicht
ausgeschlossen – anders als vor ihm Christoph Matschie in Thüringen.
Hat die SPD dazugelernt? In diesem Punkt offenbar tatsächlich. Der
Herr Matschie war ja auch ein Geschenk Gottes an Althaus. Hätten Sie
Leute für eine Landesregierung? Es müssen ja nicht alles
PDS-Mitglieder aus Brandenburg machen. Wir können auch parteilose
Experten gewinnen. Und auf Bundesebene habe ich nach unserem
Scheitern bei der Bundestagswahl sogar ein Personalüberangebot. Wird
die Basis so skeptisch sein wie in Berlin? Nicht, wenn wir ihr genau
sagen, was wir wollen, nicht, wenn wir auch in einer Koalition
erkennbar bleiben. Auch in der Regierung muss eine Partei der Basis
gegenüber rechenschaftspflichtig bleiben. Trotzdem hat die Basis in
Berlin große Bauchschmerzen bei den Kürzungen im sozialen Bereich.
Unsere Basis ist zu manchem bereit, wenn die Argumente
nachvollziehbar sind und sie genug Informationen hat. Sie meinen:
Wenn viel darüber geredet wird, kommt auch irgendwann bei den
Genossen die Einsicht? Die Berliner PDS muss auch in der Koalition
klarer erkennbar werden, sonst wird sie Schwierigkeiten bekommen. Sie
muss gegenüber der SPD ein wenig forscher auftreten, und das erst
recht nach den jüngsten Wahlerfolgen. Trotz öffentlichen Drucks ist
die Berliner PDS in der Regierung sehr schnell an ihre Grenzen
gekommen. Die Partei in Berlin hätte ja gern vieles anders gemacht.
Aber wenn kein Geld da ist, ist das eben schwer. Mit Kritik an
unseren Senatoren halte ich mich deshalb zurück. Was kann die PDS
besser machen? Auch unsere Anhänger in Essen, Köln und Tübingen
müssen nachvollziehen können, was der Senat in Berlin bewirkt hat,
und wo es aus welchen Gründen nichts wurde. Grundsätzlich gilt: Die
Berliner PDS braucht kritische Solidarität, Oberlehrer gibt es im
Lande genug. Sahra Wagenknecht von der Kommunistischen Plattform
rechnet schon vor, dass die PDS in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern
am Sonntag so deutlich verloren hat wie nirgendwo sonst. In beiden
Ländern gab es nicht den großen Einbruch. Solche Ergebnisse muss eine
Partei, die in schwerer Zeit Verantwortung gDS Nein dazu sagen. Die
Fragübernommen hat, akzeptieren. Wir dürfen unsere Politik nicht nur
nach Prozentwerten bei Wahlen ausrichten. Die Flügelkämpfe scheinen
jedenfalls nicht vorbei zu sein. Es gibt noch Flügelschlagen. Ich
will ja auch Pluralität. Aber manches bin ich leid. Der Schwanz darf
nicht ewig mit dem Hund wackeln. Sonst ist die Partei am Ende weg –
für mich hätte das nur den Effekt, dass ich mein Leben einfacher
gestalten könnte. Ich fühle mich in der Pflicht für die Mehrheit der
PDS-Mitglieder. Auf die ewigen biblischen Wahrheiten der Linken
reagiere ich unwirsch. Die helfen nur dem politischen Gegner. Vor
einem Jahr hat Gregor Gysi gesagt, der PDS sei die Erotik abhanden
gekommen. Hat sich daran etwas geändert? Erotisch ist die PDS nicht
geworden. Zu meinem großen Bedauern.
Inhaltliche Rückfragen richten Sie bitte an:
Der Tagesspiegel, Ressort Politik, Telefon 030/26009-389
ots-Originaltext: Der Tagesspiegel

Rückfragen bitte an:

Der Tagesspiegel
Thomas Wurster
Chef vom Dienst
Telefon: 030-260 09-419
Fax: 030-260 09-622
Email: thomas.wurster@tagesspiegel.de

Original content of: Der Tagesspiegel, transmitted by news aktuell

More stories: Der Tagesspiegel
More stories: Der Tagesspiegel
  • 18.06.2004 – 18:28

    Der Tagesspiegel: Kerstin Müller wirbt für Zuwanderungskompromiss

    Berlin (ots) - Die Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Kerstin Müller (Grüne), sieht im Zuwanderungskompromiss nur den Einstieg in eine wirkliche Modernisierung der Rechtslage. Sie werbe dennoch „ganz klar“ dafür, dem Gesetz zuzustimmen, sagte sie dem "Tagesspiegel" (Samstag- Ausgabe). Es handele sich um einen „im Ganzen tragfähigen Kompromiss“. Er bringe vor allem im humanitären Bereich, etwa bei ...

  • 18.06.2004 – 18:14

    Der Tagesspiegel: Struck muss mit 300 Millionen weniger auskommen

    Berlin (ots) - Bundesverteidigungsminister Peter Struck (SPD) muss im kommenden Jahr mit 300 Millionen Euro weniger auskommen. Nach Informationen des Tagesspiegel sinkt Strucks Etat 2005 damit von 24,2 auf 23,9 Milliarden Euro. Finanzminister Hans Ei-chel (SPD) wollte im Rahmen der globalen Minderausgaben ursprünglich 600 Mil-lionen Euro aus dem Verteidigungshaushalt herausschneiden. Wie in den Vorjahren bekam Struck ...