Der Tagesspiegel: Interview mit Kardinal Lehmann über den Papst und die Papstwahl: "Herkunft, Nation, Hautfarbe und Sprache spielten so gut wie keine Rolle"
Berlin (ots)
Tagesspiegel: Mit Joseph Ratzinger wurde ein Europäer und langjähriger Kurienkardinal zum Papst gewählt. Mit seinem Papstnamen bezieht er sich auf den heiligen Benedikt, der auch der Apostel Europas genannt wird. Warum wieder ein Europäer an der Spitze der Kirche und nicht ein Mann aus einem anderen Kontinent - Lateinamerika, Afrika oder Asien ?
Lehmann: Ich war überrascht, dass die Frage nach Herkunft und Nation, Hautfarbe und Sprache so gut wie keine Rolle spielte. Man wollte einfach den am meisten geeigneten Kardinal wählen. Schließlich lautet auch die Eidesformel bei der Stimmabgabe für jeden: "Ich rufe Christus, der mein Richter sein wird, zum Zeugen an, dass ich den gewählt habe, von dem ich glaube, dass er nach Gottes Willen gewählt werden sollte." Vor dem Wandgemälde Michelangelos über das Jüngsten Gericht in der Sixtinischen Kapelle weiß man um diese Verantwortung.
T: Besonders in Lateinamerika, wo heute nahezu die Hälfte aller Katholiken leben, sind die Gläubigen enttäuscht. Verstehen Sie das?
L: Ich bin nicht sicher, ob die Enttäuschung in Lateinamerika so groß ist. Schließlich haben 22 Kardinäle aus Zentral- und Südamerika mitgewählt. Die 14 Vertreter aus den USA und Kanada waren, so weit erkennbar, in einem hohen Maß aufgeschlossen für einen Mittel- bzw. Südamerikaner. Dies hängt auch damit zusammen, dass nach mir vorliegenden Informationen ein Drittel der US-Amerikaner heute spanisch spricht. Aus vielen Gesprächen weiß ich aber auch, dass Kardinal Ratzinger in Mittel- und Lateinamerika hochgeschätzt wurde, auch wenn nicht alle mit den Erklärungen der Glaubenskongregation aus seiner Zeit zur Befreiungstheologie einverstanden waren. Hier hat sich aber auch die Situation in den letzten zwei Jahrzehnten sehr verändert.
T: Traut die Kirche einem Nicht-Europäer das höchste Amt in der Kirche nicht zu?
L: Davon kann nach dem soeben Gesagten keine Rede sein.
T: Wann ist ein Lateinamerikaner, Afrikaner oder Asiaten dran? Beim nächsten Konklave?
L: Niemand weiß dies. Es ist nicht ausgeschlossen, dass es beim nächsten Mal geschehen kann. In jedem Fall soll der gewählt werden, der die Weltkirche am besten führen kann. Ich bin froh, dass die Nationalismen im Grunde keine Rolle spielen.
T: Viele Gläubige, aber auch Bischöfe haben von Ratzinger das Bild eines brillanten Theologen, aber auch harten Dogmatikers und sturen Zentralisten. Jetzt nach der Wahl beschrieben vor allem die Kardinäle plötzlich einen anderen Ratzinger - menschlich, kollegial und kompromissbereit. Wie ist dieser Wandel zu erklären?
L: Das Bild von Kardinal Ratzinger war besonders in Deutschland schon lange sehr verzerrt. Ich habe immer dagegen protestiert. Wenn man überhaupt von einem Wandel sprechen will, dann muss man die Veränderungen der Situation in Kirche und Welt seit den frühen 60er Jahren berücksichtigen. Es ist natürlich ein Unterschied, ob jemand als einzelner Theologe spricht oder ob er einen grundlegenden Auftrag für die ganze Kirche an ihrer Spitze hat. Es gibt solche Akzentverschiebungen auf Grund eines anderen Standortes auch bei Bischöfen, die hauptberuflich Fachtheologen waren und sind. Ich schließe mich selbst nicht aus, obgleich ich nichts zu widerrufen habe.
T: Kann das Amt den Menschen Joseph Ratzinger verändern?
L: Jeder wird von einem anspruchsvollen Amt in Pflicht genommen und geprägt, sicher am meisten beim Petrusdienst. Umgekehrt erhält aber auch das Amt Profil und Konturen von der Person des jeweiligen Papstes. Dies wird gewiss auch bei Benedikt XVI. so sein.
T: Papst Benedikt XVI. hat es in seiner ersten Predigt als seine vorrangige Pflicht bezeichnet, dafür zu arbeiten, dass die umfassende und sichtbare Einheit aller Christen wiederhergestellt wird. Das sagt der geistige Vater des Dokuments "Dominus Iesus", das sagt der Initiator des Mahnschreibens gegen ein gemeinsames Abendmahl mit den Protestanten und das sagt der scharfe Kritiker des Ökumenischen Kirchentages von Berlin. Wie passt das zusammen?
L: Dies ist kein Widerspruch, wenn man die Sache genauer betrachtet. Das Hauptanliegen ist in "Dominus Jesus" die Bekräftigung des Bekenntnisses, dass Jesus der einzige Erlöser ist. Dies gehört ganz eng mit der Rechtfertigungsbotschaft zusammen. Jeder weiß, dass dies auch Folgen hat für das Verständnis der Kirche. Hier ist der ohnehin knappe Text jedoch sehr verkürzt und kann darum missverständlich wirken. Kaum jemand liest die vielen Anmerkungshinweise, deren Kenntnis manches klären könnte! Es gehört selbstverständlich zur katholischen Lehre, dass Menschen, die Gott nicht erkennen, aber ihrem Gewissen folgen, das Heil erlangen können. Ähnlich müsste man auch die kirchliche Lehre zur Abendmahlsgemeinschaft sorgfältig interpretieren.
T: Wen wünschen Sie sich als Nachfolger Ratzingers an der Spitze der Glaubenskongregation?
L: Es wird spannend werden, wer dies sein wird. Aber ich möchte hier nicht der Entscheidung des Papstes auch durch unverbindliche Namensnennungen vorgreifen. Er kennt wie kein zweiter die Voraussetzungen und Anforderungen an den Nachfolger.
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