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Der Tagesspiegel: Wowereit warnt vor Tabuisierung von Rot-Rot

Berlin (ots)

Berlin - Berlins Regierender Bürgermeister Klaus
Wowereit (SPD) beharrt trotz der Kritik von Bundeskanzler Gerhard 
Schröder auf seiner Position, dass von 2009 an eine Koalition mit der
Linkspartei möglich sein könnte. "Wie sich die Situation ab dem Jahr 
2009 oder bis dahin entwickeln wird, kann heute bei den dynamischen 
Veränderungen in der bundesrepublikanischen Politik überhaupt keiner 
richtig beurteilen ,"sagte Wowereit dem in Berlin erscheinenden 
Tagesspiegel am Sonntag.  Nachdrücklich warnte er vor Tabuisierungen,
denn die SPD müsse regieren können, um das größte Thema der nächsten 
Zeit angehen zu können: die Kälte der Gesellschaft und die 
Vereinsamung. Dass der Kanzler bei der anstehenden Wahl mit den 
Grünen für eine eigene Mehrheit kämpfe und eine Koalition mit der 
Linkspartei ausschließe, "ist völlig in Ordnung und wird von mir ohne
Wenn und Aber unterstützt". Die Berliner SPD erwartet zu ihrem 
Landesparteitag an diesem Sonntag auch den Bundesvorsitzenden Franz 
Müntefering.
Die Tabuisierung sei "das alte Prinzip, das wir in Berlin 
jahrelang hatten." Dort seien die Sozialdemokraten in einer Großen 
Koalition gewesen, die die Probleme nicht gelöst habe. Inzwischen sei
klar, die rot-rote Berliner Koalition "setzt die dringend notwendigen
Strukturveränderungen durch, auch gegen die eigene Klientel." 
Wowereit forderte die SPD auf, um die Wähler der Linkspartei zu 
kämpfen, die potenziell Stimmen für die SPD seien: "Ich will diese 
Wähler zurück." Dies gehe nur durch soziales Engagement, "nicht 
populistisch". Er warnte, die offensichtlich Enttäuschten könne man 
nicht zurückgewinnen "indem man die Linkspartei und die Personen nur 
beschimpft. Man muss sich sachlich auseinandersetzen", sie "stellen".
Bei Hartz IV etwa habe die PDS auf Bundesebene demonstriert, in 
Berlin aber hätten deren Senatoren ihre Arbeit gemacht und Hartz IV 
umgesetzt. Als ein Projekt für soziale Gerechtigkeit forderte 
Wowereit eine radikale Vereinfachung der Einkommensteuer. Es müssten 
nicht nur die niedrigen Steuersätze voll gezahlt werden, sondern auch
der Spitzensteuersatz. "Das heißt: radikaler Subventionsabbau, ohne 
Tabus, ohne Schere im Kopf. Es hilft nichts, da muss man ran." Das 
bringe viele Milliarden - und mehr als die Mehrwertsteuererhöhung der
Union.
Der Kampf gegen Kälte und Vereinsamung ist nach Ansicht Wowereits 
die große Zukunftsaufgabe der Politik. "Für unsere Gesellschaft mit 
ihrer demographischen Entwicklung wird es das zentrale Problem sein, 
wie sich Menschlichkeit zeigt," sagte er dem Tagesspiegel am Sonntag.
Es gebe zunehmend alte Menschen ohne soziale Bindungen, Berlin habe 
zum Beispiel mit seinen vielen Single-Haushalten "gesellschaftliche 
Strukturen, wo Menschen einsam sein können". Zwar kümmerten sich 
Hunderttausende in Vereinen und Verbänden um andere. "Trotzdem müssen
wir aufpassen, dass unsere Gesellschaft nicht arm wird, kalt wird." 
Gesellschaftliche Prozesse aber könne man nicht anordnen oder etwa 
per Gesetz beschließen, dass alte Menschen zusammenziehen.  Sollte 
die Situation auf dem dem Arbeitsmarkt so bleiben, sei er "dezidiert 
der Auffassung", dass Arbeitslose im sozialen Bereich ihre 
Erfahrungen einbringen sollten. So könnten sie hinzuverdienen. "Man 
muss auch eine Gegenleistung einfordern können", betonte Wowereit.
Indirekt forderte der Regierende Bürgermeister von Berlin den 
Rücktritt von Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm, der im 
Tagesspiegel-Interview gesagt hatte, die früher von der SED 
erzwungene Proletarisierung sei eine wesentliche Ursache für 
Verwahrlosung und Gewaltbereitschaft in Teilen Ostdeutschlands. Es 
sei "schamlos", wie Schönbohm die tragischen Kindstötungen 
missbrauche, um 17 Millionen Menschen zu diskriminieren. "Ich frage 
mich, wie lange das eigentlich noch  gut geht. Es ist ja nicht die 
erste Entgleisung von Herrn Schönbohm."
Inhaltliche Rückfragen richten Sie bitte an:
Der Tagesspiegel, Ressort Politik, Tel. 030/26009-389
Rainer Woratschka) oder -402.
Der Tagesspiegel
Chef vom Dienst
Thomas Wurster
Telefon: 030-260 09-419
Fax: 030-260 09-622 
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