Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz zum Krieg in der Ukraine
Bonn (ots)
Die Ukraine durchlebt dramatische Tage: Tage des Krieges, Tage des menschlichen Leids. Soldaten auf beiden Seiten der Front werden getötet und verwundet. Auch viele Zivilisten sind unter den Opfern, weil Wohnhäuser, Schulen und Krankenhäuser von Bomben und Raketen getroffen werden. Allen Regeln der Einhegung von Kriegshandlungen zum Trotz werden die zivilen Opfer in Kauf genommen, sehr wahrscheinlich sogar zur Einschüchterung und Demoralisierung der Bevölkerung bewusst herbeigeführt. Bereits in den wenigen Tagen, die dieser Krieg andauert, sind Tausende Menschen gestorben. Unzählige mehr haben den Tod von Angehörigen zu beklagen, ihr Hab und Gut verloren und wurden ihrer Lebenschancen beraubt. Viele haben Traumata erlitten, von denen sie sich erst nach sehr langer Zeit werden erholen können. Wahrscheinlich sind schon mehr als zwei Millionen Menschen auf der Flucht ins Ausland. Die Schneise der Verwüstung, die der Krieg in kürzester Zeit geschlagen hat, ist riesig.
Ein ganzes Land steht unter Schock und leidet Angst. Aber die Bewohner zeigen zugleich kämpferische Entschlossenheit und Durchhaltewillen, was viele im Ausland angesichts der erdrückenden Überlegenheit des russischen Militärs nicht erwartet hatten. Es mag ein Mut der Verzweiflung am Werk sein, aber es ist auch der Mut eines Volkes, das sich über das Unrecht empört, das ihm angetan wird, und sich nicht kampflos seiner Rechte berauben lassen will. Dieser Mut verdient Respekt und Hochachtung.
Immer wieder weisen die Ukrainer darauf hin, dass sich ihr Land bereits seit 2014 im Krieg befinde. Tatsächlich hat die Russische Föderation damals mit der Annexion der Krim und den sogenannten "hybriden" Kriegshandlungen in den ostukrainischen Gebieten um Luhansk und Donezk den Frieden gebrochen. Aber die Invasion, die am 24. Februar 2022 begann, ist von anderer Art. Sie verwandelt die gesamte Ukraine in ein Kriegsgebiet. Wir beklagen den Überfall auf ein international anerkanntes Land, einen Angriffskrieg, der gegen das in der Charta der Vereinten Nationen verankerte Gewaltverbot verstößt - und deshalb zurecht von der UN-Vollversammlung mit großer Mehrheit verurteilt wurde.
Die Begründungen, die von der russischen Regierung zur Rechtfertigung vorgetragen werden, vermögen allesamt auch dann nicht zu überzeugen, wenn man bereit ist, russische Sicherheitsbedürfnisse prinzipiell anzuerkennen. Die Pläne der Invasoren sind im Einzelnen nicht bekannt. Unstrittig ist, dass die demokratisch gewählte Regierung der Ukraine abgesetzt und das ganze Land dem Willen des Kremls unterworfen werden soll. Die Bindungen der Ukraine an die Europäische Union sollen radikal geschwächt oder ganz aufgelöst werden. Wir verurteilen den russischen Einmarsch in die Ukraine uneingeschränkt. Soll er nicht zu weiteren Verheerungen im Land und zu einer ungewissen Zeit in den internationalen Beziehungen führen, muss der Krieg sofort beendet werden und die ausländischen Truppen müssen in ihre Heimat zurückkehren.
Nicht nur die Ukrainer stehen unter Schock. In gewissem Sinne gilt dies auch für alle anderen Europäer. Denn das russische Vorgehen hat die Grundlagen des Zusammenlebens auf unserem Kontinent radikal in Frage gestellt. Die "regelbasierte Ordnung", von der Politik und Wissenschaft sprechen, wurde aufgekündigt und Europa damit auf den Weg einer ungewissen Zukunft geschickt. Auch das erklärt, warum die europäischen Staaten und die anderen Länder des Westens in kürzester Frist eine entschlossene Sanktionspolitik gegenüber Russland auf den Weg gebracht und sich solidarisch an die Seite der Ukraine gestellt haben. Alle spüren: Die Invasion in die Ukraine ist auch ein Angriff auf Europa und seine Werte. Demokratie, Freiheitsrechte und Rechtsstaatlichkeit, eine Ordnung des Neben- und Miteinanders der Staaten auf der Grundlage verbindlicher und fairer Regeln - all das verachten und bekämpfen jene, die der Ukraine die Freiheit rauben wollen. Europa tut deshalb gut daran, sich auf eine lange und schwierige Auseinandersetzung einzustellen. Eine Haltung der Entschlossenheit und der Eindeutigkeit, jenseits von Hysterie und von taktischem Lavieren, ist nötig, um diese Herausforderung zu bestehen.
In Deutschland wurde und wird intensiv über die Lieferung von Waffen an die Ukraine diskutiert, teils sogar leidenschaftlich gestritten. Das ist angesichts unserer Geschichte und der Konsequenzen, die wir daraus gezogen haben, gut verständlich. Auch in den Kirchen wird diese Debatte geführt. Denn in der Tat haben es auch deren Vertreter stets als ihre Aufgabe angesehen, den Export von Rüstungsgütern mit kritischem Blick zu begleiten und eine restriktive Bewilligungspraxis (mit Ausnahme des Waffentransfers an NATO-Partner und an gleichgestellte Staaten) anzumahnen. Dabei wird es auch bleiben, denn wir wissen, dass die (nur allzu oft leichtfertige und nicht selten auch von Gewinninteressen getriebene) Bereitstellung von Gewaltmitteln die realen Möglichkeiten zur Gewaltanwendung erweitert. Gleichwohl darf die Entscheidung, ob Waffen zur Verfügung gestellt werden, nicht von der konkreten Situation absehen. Rüstungslieferungen an die Ukraine, die dazu dienen, dass das angegriffene Land sein völkerrechtlich verbrieftes und auch von der kirchlichen Friedensethik bejahtes Recht auf Selbstverteidigung wahrnehmen kann, halten wir deshalb für grundsätzlich legitim. Es ist denjenigen, die die Entscheidung zu treffen haben, aber aufgetragen, präzise zu bedenken, was sie damit aus- und möglicherweise auch anrichten. Dies gilt gleichermaßen für die Befürworter wie für die Gegner von Waffenlieferungen.
Mit Verweis auf die veränderte Sicherheitslage in Europa hat die Bundesregierung eine stärkere Ausrichtung der Bundeswehr auf deren Aufgabe der Landes- und Bündnisverteidigung und eine bessere Ausstattung der deutschen Streitkräfte auf den Weg gebracht. Diese Ziele sind grundsätzlich plausibel und sollten nicht pauschal mit politischen Kampfbegriffen wie "Aufrüstungspolitik" oder "Militarisierung der Außenpolitik" belegt werden. Gerade angesichts der beträchtlichen Finanzmittel, die bei der Neuorientierung der Sicherheitspolitik aufgerufen sind, muss aber daran erinnert werden, dass der deutsche Beitrag zum Frieden in der Welt viele Aufgaben umfasst, die nicht in den Hintergrund rücken dürfen. Nicht zuletzt zählen dazu die Verbesserung der Lebensbedingungen in armen Ländern und eine entschlossene Klimapolitik, deren Ausbleiben nicht nur das Leben in manchen Regionen unseres Planeten gefährden würde, sondern auch und gerade deshalb konkrete sicherheitspolitische Implikationen hätte. Auch manche Einsätze der Bundeswehr im Ausland bleiben um des Friedens willen geboten. Wer sich neuen Herausforderungen des Friedens stellen muss, darf die alten darüber nicht vergessen.
In ihrer Lehre und in ihrem Handeln ist die Kirche der Gewaltlosigkeit Jesu verpflichtet. Auch in der Stunde der Bedrängnis muss sie deshalb der Versuchung einer schrankenlosen Gewaltanwendung entschlossen widersprechen. Gewalt und Gegengewalt, auch wenn sie legitim ist, treiben eine Spirale der Gewalt an, die diese regelmäßig außer Kontrolle geraten lässt. Gewalt im Krieg verursacht nicht nur konkretes Leid, sondern befeuert auch den Hass auf den Gegner. Und ein durch Hass vergiftetes kollektives Bewusstsein der Völker macht den Frieden, wie viele Beispiele der Geschichte zeigen, oft über Generationen hinweg unmöglich. Deshalb muss der Horizont des Friedens auch in Zeiten des Krieges geöffnet bleiben. Auch der Gegner bleibt immer Mensch! Und niemand ist es darum erlaubt, die Verfeindung der Gegner anzustacheln. Wir sind allen dankbar, die Zeichen des Mitgefühls auch für die Opfer der anderen Seite setzen. Und wir fühlen uns den Vielen in Russland verbunden, die trotz staatlicher Schikanen gegen den Krieg protestieren. Sie wecken Hoffnung auf Versöhnung und ein friedliches Zusammenleben der Völker in der Zukunft.
Alle wahre Religion lehnt den Krieg ab. Er ist eine Niederlage der Humanität. Wer ihn mutwillig auslöst, begeht ein Verbrechen vor Gott und den Menschen. Völlig unannehmbar sind daher alle Versuche, dem Krieg eine religiöse Legitimation zu geben. Und die Vertreter der Kirchen müssen sich davor hüten, sich von nationalen Loyalitäten so bestimmen zu lassen, dass der Friedenswille Gottes in den Hintergrund gerät. Wir sind dankbar, dass sehr viele Bischöfe und Priester aus den orthodoxen und katholischen Kirchen sich in gutem christlichem Geist an ihre Gläubigen wenden. Besonders berühren uns die Stimmen von Geistlichen der Russischen Orthodoxen Kirche, die den Krieg gegen die Ukraine verurteilen und zum Frieden mahnen. Den Patriarchen dieser Kirche rufen wir auf, seinerseits ein klares Wort zu sprechen und sich vom Krieg eindeutig zu distanzieren. Die Welt braucht das gemeinsame Zeugnis der Kirchen gerade in Zeiten der Not und der Verwerfungen. Dies sind auch Zeiten der Entscheidung.
Hilfe für die Opfer des Krieges ist dringend geboten. Schon jetzt leisten viele Menschen hier Vorbildliches und bezeugen die Menschlichkeit angesichts der Unmenschlichkeit des Krieges. Die deutschen Hilfsorganisationen berichten, dass die Spendenbereitschaft derzeit ein Niveau wie selten zuvor bei internationalen Krisen erreicht. Auch die katholischen Werke aus Deutschland - wie Caritas international und das Osteuropa-Werk Renovabis - leisten ihren Dienst an den Menschen in der Ukraine und in deren Nachbarländern mit bewährter Professionalität. Sie tragen dafür Sorge, dass die vielen einzelnen Beiträge der Solidarität bei den Bedürftigen, denen oftmals das Nötigste zum Leben und Überleben fehlt, ankommen. Besondere Erwähnung verdienen auch die Bischöfe, Priester und Laien der ukrainischen griechisch-katholischen und römisch-katholischen Kirche in der Ukraine, die sich auf großartige Weise in Seelsorge und caritativer Hilfe für die notleidenden Mensch einsetzen.
Wir Bischöfe rufen die katholischen Gläubigen in unserem Land heute zu weiteren großzügigen Spenden auf, um die Not in der Ukraine zu lindern. So helfen Sie mit, dass auch unter den schlimmsten Bedingungen die Menschenwürde hochgehalten wird. Gerade durch praktische Hilfe wird den Opfern des Krieges gezeigt, dass sie in ihrem Schicksal nicht allein gelassen sind.
Besondere Aufmerksamkeit muss den Flüchtlingen gelten, mögen sie in der Ukraine nach einem sichereren Ort suchen oder sich auf den Weg ins Ausland machen. Es ist wichtig, dass die Europäische Union die rechtlichen Voraussetzungen für eine möglichst unbürokratische Aufnahme in den Mitgliedsstaaten schafft. Auch Deutschland ist um flexible Regelungen bemüht. Vor allem beeindruckt uns die warmherzige Bereitschaft zur Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen in den Nachbarstaaten der Ukraine. Auch im gemeinsamen Einstehen für die Geflüchteten, die Gestrandeten des Krieges, kann und muss Europa seine gemeinsamen Werte in konkrete Realität übersetzen. Auch so verteidigen wir, wer wir als Europäer sind.
Deutschland hat in den zurückliegenden Jahren vielen Flüchtlingen und Vertriebenen der Kriege im Nahen und Mittleren Osten geholfen. Dies wäre nicht möglich gewesen ohne den Einsatz der vielen ehrenamtlich Tätigen in den christlichen Gemeinden, die ein überzeugendes Beispiel der Nächstenliebe gegeben haben. So sind wir voller Hoffnung, dass gerade auch die Christen in unserem Land sich erneut, dieses Mal im Dienst an den Geflüchteten aus der Ukraine, bewähren und auszeichnen werden. Wir danken allen, die bereits aktiv sind oder zum Engagement aus dem Glauben heraus bereitstehen.
Viele Christen sind dem Aufruf der Deutschen Bischofskonferenz, der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) gefolgt, in ihren Gemeinden für den Frieden und die Menschen in der Ukraine zu beten. Lassen wir in diesem Gebet nicht nach! Bitten wir Gott, der das Schicksal der Welt in Seinen Händen hält, um den Frieden für die Ukraine und an allen friedlosen Orten unserer Erde.
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