Sechster Katholischer Flüchtlingsgipfel diskutiert Hilfe für ukrainische Geflüchtete und kirchliches Integrationsverständnis
Bonn (ots)
Heute (3. Mai 2022) fand in Erfurt der sechste Katholische Flüchtlingsgipfel statt. Auf Einladung von Erzbischof Dr. Stefan Heße (Hamburg), Sonderbeauftragter für Flüchtlingsfragen der Deutschen Bischofskonferenz, nahmen 100 Praktiker, Experten und Ehrenamtliche daran teil. Themen der Veranstaltung waren die Situation der ukrainischen Flüchtlinge und die Integration von Migranten und Geflüchteten. Die Deutsche Bischofskonferenz veröffentlichte zum Gipfel die Arbeitshilfe Anerkennung und Teilhabe - 16 Thesen zur Integration.
Im ersten Teil des Gipfels lag der Fokus auf der Situation der Geflüchteten aus der Ukraine. In seiner Eröffnungsansprache solidarisierte sich Erzbischof Dr. Heße mit der Ukraine: "Der Angriff gegen die Ukraine ist auch ein Angriff auf Europa: auf die Werte und Regeln, die unser Zusammenleben tragen. Und so sind die Vertriebenen aus der Ukraine in besonderem Sinne auch unsere Vertriebenen und ihr Leid ist unser Leid." Zugleich äußerte er mit Blick auf alle Schutzsuchenden: "In der Krise finden die europäischen Staaten Lösungen, die noch vor Kurzem undenkbar erschienen. Ich hoffe, dass wir Europäerinnen und Europäer uns auch in Friedenszeiten an die Verbundenheit mit den Vertriebenen aus der Ukraine erinnern." Erzbischof Heße unterstrich, dass die Flüchtlingsarbeit der Diözesen und kirchlichen Einrichtungen in Deutschland auf stabilen Fundamenten ruhe und deshalb in der Lage sei, die Aufnahme der ukrainischen Flüchtlinge gut zu begleiten. In diesem Zusammenhang wies er auf das Engagement der 35.500 Ehrenamtlichen hin, die 2021 in der Flüchtlingsarbeit tätig gewesen sind.
Auf Grußworte von Bischof Dr. Ulrich Neymeyr (Erfurt) und des Thüringer Migrationsministers Dirk Adams folgte ein Podiumsgespräch zur Situation der Vertriebenen aus der Ukraine. Dabei schilderte Andrij Waskowycz, bis 2021 langjähriger Präsident der Caritas Ukraine, die Not der Geflüchteten und machte klar: "Vertreibung und Flucht werden von Russland in diesem Krieg auch als 'Waffe' eingesetzt, um die westliche Staatengemeinschaft zu destabilisieren und zu schwächen. Allerdings hat Russland dieses hinterhältige Ziel nicht erreicht. Denn die notleidenden ukrainischen Flüchtlinge sind mit großer Solidarität und Anteilnahme in den Nachbarstaaten aufgenommen worden." Weihbischof Krzysztof Zadarko, Vorsitzender des Migrationsrats der Polnischen Bischofskonferenz, beschrieb die Situation in seinem Heimatland, wo aktuell die meisten Schutzsuchenden aus der Ukraine beherbergt werden: "Die Reaktion der polnischen Gesellschaft ist nach Umfang und Art der Hilfe beispiellos. Allerdings zeigen sich bereits Ermüdungserscheinungen unter den Ehrenamtlichen. Es bedeutet eine große Anstrengung für die polnische Gesellschaft, die lokalen Regierungen, die Gemeinden, die Nichtregierungsorganisationen und den polnischen Staat, die Menschen aufzunehmen. Unsere wichtigste Aufgabe ist es, ein Modell für die Integration der ukrainischen Gemeinschaft in die polnische Gesellschaft zu entwickeln." Dr. Andrea Schlenker, Leiterin des Referats Migration im Deutschen Caritasverband, beschrieb die Flüchtlingsarbeit in Deutschland: "Viele aus der Ukraine Geflüchtete haben spezifische Bedarfe: Es kommen vor allem allein reisende Frauen mit ihren Kindern, aber auch ältere und pflegebedürftige Personen. Ihre Aufnahme gelingt bisher nicht zuletzt aufgrund des überwältigenden Engagements von Haupt- und Ehrenamtlichen vielerorts gut. Die Politik trägt mit einem geschlossenen europäischen Vorgehen und pragmatischen Lösungen auf nationaler Ebene dazu bei, dass erste Integrationsschritte erfolgreich verlaufen." Nach dem Podiumsgespräch lud Erzbischof Heße die Gipfelteilnehmer zu einem Friedensgebet ein.
Der zweite Teil des Katholischen Flüchtlingsgipfels stand unter dem Leitthema "Integration gemeinsam gestalten". Grundlage der Beratungen war die von der Deutschen Bischofskonferenz in Erfurt vorgelegte neue Arbeitshilfe Anerkennung und Teilhabe - 16 Thesen zur Integration, die an das Gemeinsame Wort der Kirchen Migration menschenwürdig gestalten (2021) anknüpft. Das Dokument verbindet theologische und politikwissenschaftliche Ansätze und berücksichtigt vor allem die Erfahrungen der katholischen Flüchtlingshilfe der vergangenen Jahre. Es enthält acht Thesen zu den Grundhaltungen, die für ein christlich geprägtes Verständnis von Integration bestimmend sind. Weitere acht Thesen beschäftigen sich mit konkreten Handlungsfeldern wie Familie, Bildung, Arbeit und Gesundheit. Die Arbeitshilfe wirbt für die Anerkennung von Migration und Integration als Facetten gesellschaftlicher Vielfalt und als Impuls für einen positiven sozialen Wandel.
Prof. Dr. Thomas Faist, Professor für Migrationssoziologie in Bielefeld und Berater der Migrationskommission der Deutschen Bischofskonferenz, der an der Gestaltung der Arbeitshilfe mitgewirkt hat, betonte in seiner Einführung in den Text die innere Vielfalt moderner Gesellschaften, der die Migration einen zusätzlichen Schub verleihe. Mit Blick auf die Kirche und die Haltung der Gläubigen sagte er: "Die Kirche fördert die Bereitschaft zur Offenheit gegenüber Vielfalt: Weil Menschen voneinander verschieden sind, können sie in einer Gesellschaft mit Migrationshintergrund voneinander lernen. Auch bei Konflikten fördert eine auf Menschenwürde und Solidarität ruhende Integrationskultur Begegnungen, die ein friedliches und wertschätzendes Miteinander ermöglichen." Daran anschließend hatten Prof. Dr. Michelle Becka, Professorin für christliche Sozialethik in Würzburg, und Frau Prof. Dr. Petra Bendel, Politikwissenschaftlerin und Vorsitzende des Sachverständigenrates für Integration und Migration, Gelegenheit, die Arbeitshilfe aus der Perspektive ihrer jeweiligen wissenschaftlichen Disziplin zu kommentieren. Prof. Dr. Michelle Becka griff besonders die Grundhaltung der Solidarität auf: "Es gibt Solidaritäten im Plural, ein Netz von Solidaritäten. Eine Aufgabe von Kirche ist (neben dem solidarischen Handeln selbst), beharrlich aufzuzeigen, dass dadurch keine Konkurrenzen entstehen. Und wo es doch welche gibt, ist ihnen entgegenzuwirken." Prof. Dr. Petra Bendel analysierte die in der Arbeitshilfe dargestellten Handlungsfelder und wies der Gesundheitsfürsorge eine hohe Bedeutung zu: "Gesundheit ist die Voraussetzung für Teilhabe. Es ist wichtig, die für einzelne Personengruppen geltenden Einschränkungen zum Gesundheitssystem aufzuheben. Der Zeitpunkt dafür ist jetzt günstig."
In mehreren Arbeitsgruppen bestand für die Teilnehmer die Möglichkeit zum Austausch über Handlungsfelder kirchlicher Integrationsarbeit anhand exemplarischer Praxisbeispiele katholischer Flüchtlingshilfe.
Das abschließende Podiumsgespräch das durch eine Videobotschaft der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung, Staatsministerin Reem Alabali-Radovan, eingeleitet wurde, bilanzierte die bisherigen Integrationsbemühungen, formulierte Zielvorstellungen für konkrete Handlungsfelder und ging der Gestaltung des Zusammenlebens in einer pluralen Gesellschaft nach. Dabei betonte die Beauftragte für Integration, Migration und Flüchtlinge im Freistaat Thüringen, Mirjam Kruppa: "Wer aus seiner Heimat flieht, gibt alles auf, um Sicherheit, aber darüber hinaus auch wieder Handlungsspielraum im Leben zu gewinnen. Dieses Bedürfnis nach Selbstwirksamkeit ist ein wichtiger Motor der Integration. Deshalb ist es so zentral, dass wir allen Menschen, die wir aufnehmen - ganz unabhängig von ihrer Herkunft - umgehend Teilhabemöglichkeiten eröffnen." Prof. Dr. Petra Bendel warb für mehr Engagement bei der Einbürgerung: "Für die politische Integration hat die Staatsangehörigkeit eine Schlüsselfunktion. Die Möglichkeit einer 'Turbo-Einbürgerung', bessere Informationen, eine direkte Ansprache der Einbürgerungsberechtigten, Einbürgerungszeremonien als Zeichen der Wertschätzung, aber auch eine Aufstockung des Personals in den Behörden sind wichtige Instrumente, um die Zahl der Einbürgerungen zu heben." Von seinen Erfahrungen auf dem Weg zur Integration berichtete Faisal Hamdo, Autor des Buches "Fern von Aleppo", der 2014 aus Syrien über die Türkei nach Deutschland flüchtete: "Im Jahr 2015 hat mich immer interessiert, wie wir - Geflüchtete - trotz langer Asylverfahren und vieler bürokratischer Hürden, die uns anfangs jede Arbeitsaufnahme untersagten, dieses Land aktiv mitgestalten können. Viele Geflüchtete haben dank der Gemeinschaftsarbeit der Zivilgesellschaft, der Wirtschaft und der Kirchen Fuß gefasst, Arbeit oder Ausbildung begonnen und sich ein soziales Umfeld aufgebaut." Erzbischof Dr. Heße appellierte an die Verantwortungsträger in Politik und Kirche, sich weiterhin für eine möglichst barrierefreie Aufnahme und Integration aller Schutzsuchenden einzusetzen: "In erster Linie sind die politischen Verantwortungsträger gefragt, schnell und unkompliziert die Weichen für die Aufnahme und Integration zu stellen. Das schafft die Grundlagen, auf die die Kirchen und die Zivilgesellschaft aufbauen können."
Hinweise:
Die Arbeitshilfe der Deutschen Bischofskonferenz Anerkennung und Teilhabe - 16 Thesen zur Integration ist als pdf-Datei zum Herunterladen unter www.dbk.de in der Rubrik Publikationen verfügbar. Dort kann das Dokument auch als Broschüre (Arbeitshilfen Nr. 331) bestellt werden.
Die Statistik zur Flüchtlingshilfe und die Eröffnungsansprache von Erzbischof Dr. Heße sind als pdf-Dateien unter www.dbk.de und auf der Internetseite zur katholischen Flüchtlingshilfe unter www.fluechtlingshilfe-katholische-kirche.de verfügbar.
Eine Bestandsaufnahme der Deutschen Bischofskonferenz zur katholischen Flüchtlingshilfe für das Jahr 2021 hat ergeben, dass die 27 (Erz-)Bistümer, die Militärseelsorge und die kirchlichen Hilfswerke rund 90,5 Millionen Euro für die Flüchtlingshilfe bereitgestellt haben, darunter 34,7 Millionen für die Unterstützung der Flüchtlingshilfe im Inland und 55,8 Millionen für die Unterstützung der Flüchtlinge im Ausland. Im Jahr 2021 waren etwa 4.300 hauptamtliche Mitarbeiter und rund 35.500 Ehrenamtliche in der Hilfe für Geflüchtete tätig.
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