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Augenärztliches Screening und Therapie bei Frühgeborenen
Was sehen aktuelle Leitlinien vor?

Düsseldorf (ots)

Wenn ein Kind zu früh geboren wird, bedeutet das für die Eltern Stress, Sorge und Unsicherheit. Ärzte verschiedener Fachrichtungen sind dann daran beteiligt, die kleinen Kämpfer und ihre Familien zu betreuen. Zu ihnen gehören Augenärzte, denn Frühgeborene sind dem Risiko ausgesetzt, dass sich ihre Netzhaut nicht normal entwickelt und dass sie erblinden können.

Von einem Frühgeborenen spricht man, wenn das Kind vor dem Ende der 37. Schwangerschaftswoche geboren wird. Die Zahl der Frühgeborenen in Deutschland nimmt zu - etwa jedes zehnte Kind wird zu früh geboren.

Dafür gibt es zwei Gründe: Einerseits sind die Frauen zum Zeitpunkt der Geburt heute älter als sie es in früheren Jahrzehnten waren. Andererseits sorgt der medizinische Fortschritt dafür, dass auch sehr junge und sehr leichte Kinder heute überleben. Ein Risiko, eine Frühgeborenretinopathie zu entwickeln, besteht vor allem bei Kindern, die vor der 31. Schwangerschaftswoche geboren werden.

Die Netzhaut der Augen dieser Kinder ist bei einer zu frühen Geburt noch nicht hinreichend ausgereift und insbesondere noch nicht ausreichend mit Blutgefäßen versorgt. Die Entwicklung der Blutgefäße wird über den Vascular Endothelial Growth Factor (VEGF) gesteuert. Die Bildung dieses Signalmoleküls wird durch die frühe Geburt erst unterbrochen, dann folgt eine überschießende Produktion. So kann es zu einer unkontrollierten Bil- dung von Blutgefäßen in der Netzhaut kommen, deren Folge eine Netzhautablösung und die Erblindung des Kindes sein kann. Augenärzte sprechen in solchen Fällen von der Frühgeborenenretinopathie (retinopathy of prematurity, ROP). Mit einer rechtzeitigen Behandlung lässt sich die Erblindung jedoch verhindern.

Zum Erkennen einer Frühgeborenenretinopathie ist ein augenärztliches Screening essentiell. In der S2k-Leitlinie "Augenärztliche Screening-Untersuchung bei Frühgeborenen" ist festgelegt, bei welchen Kindern zu welchem Zeitpunkt Untersuchungen stattfinden sollen (1). Angezeigt ist das Screening bei Kindern, die vor Vollendung der 31. Schwangerschaftswoche geboren wurden oder - wenn die Schwangerschaftsdauer nicht bekannt ist - bei Kindern, die bei der Geburt weniger als 1500 g wogen. Außerdem werden all jene Frühgeborenen untersucht, bei denen zusätzliche Risikofaktoren vorliegen. Das ist der Fall, wenn die Kinder mehr als fünf Tage lang Sauerstoff erhielten oder wenn sie an bestimmten Begleiterkrankungen leiden. Die erste augenärztliche Untersuchung findet in der sechsten Woche nach der Geburt statt, bei extrem unreifen Frühgeborenen allerdings nicht vor einem Alter von 31 Wochen nach der letzten Monatsblutung. Folgeuntersuchungen finden meist alle zwei Wochen statt, bei Hinweisen auf eine beginnende ROP wöchentlich. Ist der Befund deutlich rückläufig oder wurde der errechnete Geburtstermin überschritten, dann können die Kontrollintervalle um eine Woche verlängert werden.

Für die Untersuchung wird die Pupille mit Augentropfen erweitert und die Netzhaut bis in ihre Randbereiche stereoskopisch untersucht. Auch die vorderen Augenabschnitte werden sorgfältig beurteilt.

Im weiteren Verlauf ihres jungen Lebens sollten die Kinder weiterhin regelmäßig augenärztlich untersucht werden, denn bei ihnen ist das Risiko gegeben, dass weitere Probleme mit den Augen auftreten.

Die Behandlungsmöglichkeiten der ROP sind in den vergangenen Jahren deutlich besser geworden. Ob eine Behandlung notwendig ist, hängt davon ab, welche Bereiche der Netzhaut betroffen sind und wie ausgeprägt die Veränderungen sind. Heute kommen im Wesentlichen zwei Verfahren zur Behandlung der Frühgeborenenretinopathie zum Einsatz: Die Laserkoagulation einerseits und die Gabe von Anti-VEGF-Medikamenten ins Augen- innere andererseits. In Ausnahmefällen kommt auch die Kryokoagulation zum Einsatz (eine Behandlung mit einer Kältesonde) oder eine Operation. Die ophthalmologischen Fachgesellschaften haben in einer Stellung- nahme zur Anti-VEGF-Therapie der Frühgeborenenretinopathie Kriterien zur Therapiewahl zusammengefasst (2).

Bei der Laserkoagulation werden noch nicht durchblutete Teile der Netzhaut punktuell mit dem Laser koaguliert. Eine Behandlungssitzung reicht meist aus, um die ROP zu stoppen. Allerdings handelt es sich um einen zeitaufwendigen Eingriff, der meist in Narkose durchgeführt werden muss. Dabei werden die gelaserten Netzhautbereiche unwiederbringlich zerstört, was Gesichtsfeldeinschränkungen zur Folge hat. Diese Bereiche produzieren dann aber kein VEGF mehr, es kommt nicht mehr zur überschießenden Bildung von Blutgefäßen und die übrige, nicht gelaserte Netzhaut bleibt erhalten.

Die Anti-VEGF-Therapie hat dagegen den Vorteil, dass der Eingriff nur kurz dauert und auch ohne Narkose möglich ist. Zudem bleibt die Chance erhalten, dass die Netzhaut sich bis in ihre Randbereiche hin normal entwickeln kann, so dass es nicht zu Gesichtsfeldeinschränkungen kommt. Auch die häufig mit einer ROP verbundene Entwicklung einer Kurzsichtigkeit ist nach einer Anti-VEGF-Therapie meist weniger ausgeprägt als nach einer Laserbehandlung. Die Nachteile sind jedoch auch nicht zu vernachlässigen: Das Medikament wird direkt ins Augeninnere gespritzt, dabei besteht ein, wenn auch sehr geringes, Risiko für eine Endophthalmitis, eine schwere Entzündung im Augeninneren. Außerdem lassen die Anti-VEGF-Wirkstoffe mit der Zeit nach, so dass es zu einer Reaktivierung der ROP kommen kann. Dann ist eine erneute Injektion oder eine sekundäre Lasertherapie notwendig. Bei einer Anti-VEGF-Therapie ist es deshalb besonders wichtig, dass die Eltern mit dem Kind langfristig zu regelmäßigen, meist wöchentlich bis zweiwöchentlichen Nachkontrollen kommen - oft bis zu 35 Wochen nach der Behandlung oder bis zu einem Alter von 29 Wochen nach dem errechneten Geburtstermin. Die Eltern aller Frühgeborenen sollten einen ROP-Pass erhalten, in dem Untersuchungsergebnisse, Behandlungen und Kontrolltermine eingetragen werden.

Fazit

Die Zahl von Frühgeburten in Deutschland ist in den vergangenen Jahren angestiegen. Zu den Problemen, mit denen zu früh geborene Kinder zu kämpfen haben, zählt auch die Frühgeborenenretinopathie, eine Erkrankung der Netzhaut des Auges, die zur Erblindung führen kann. Deshalb müssen diese Kinder rechtzeitig augenärztlich untersucht und, wenn nötig, behandelt werden. Zwei Verfahren stehen zur Verfügung: Die Laserkoagulation, mit der die äußeren Netzhautbereiche verödet werden, stoppt die ROP meist nach nur einer Behandlung, verödet aber dabei Netzhautgewebe. Die Gabe von Anti-VEGF-Medikamenten ins Augeninnere ist weniger belastend für die Kinder und schont die Netzhaut, doch unter Umständen genügt eine einmalige Behandlung nicht, daher sind langfristige Kontrollen wichtig.

Prof. Dr. Andreas Stahl
Universitäts Greifswald
Klinik und Poliklinik für Augenheilkunde Ferdinand-Sauerbruch-Straße
17475 Greifswald
Tel: 03834-86-5900
Fax: 03834-86-5902
eMail:  klinikleitung-augen@med.uni-greifswald.de

Quellen:

  1. S2k-Leitlinie Augenärztliche Screening-Untersuchung bei Frühgeborenen, AWMF-Leitlinien-Register Nr. 024-010, https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/024-010
  2. Stellungnahme der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft, der Retinologischen Gesellschaft und des Berufsverbands der Augenärzte Deutschlands zur Anti-VEGF-Therapie der Frühgeborenenretinopathie, https://ots.de/1FdwSq

Pressekontakt:

Berufsverband der Augenärzte Deutschlands
Tersteegenstr. 12
D-40474 Düsseldorf
Tel. 0211 - 4 30 37 00
E-Mail-Kontakt für Presseanfragen: presse@augeninfo.de
www.augeninfo.de
www.aad-kongress.de/pressekonferenzen/pressekonferenz-2023/

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