Forum Moderne Landwirtschaft e.V.
"Sündenfall" mit positiven Folgen
Qualität von Obst und Gemüse in Deutschland deutlich verbessert - Vorreiterrolle von Lidl zeigt Wirkung
Berlin (ots)
"Ohne Qualitätssicherung keine Zukunft für Obst und Gemüse" - in dieser Einschätzung waren sich die Experten bei einer vielbeachteten Podiumsdiskussion auf dem ErlebnisBauernhof in Halle 3.2 der Internationalen Grünen Woche in Berlin einig. Der vor etwa einem Jahr von der Organisation Greenpeace angeprangerte "Sündenfall", d.h. zu hohe Rückstände von Pflanzenschutzmitteln bei Obst und Gemüse im deutschen Lebensmittelhandel, habe das Unternehmen Lidl zum Anlass genommen, weitreichende Neuerungen in der Qualitätssicherung einzuführen. Zu dem sehr positiven Ergebnis, das in einem erneuten Test im Januar 2007 deutlich wurde, gratulierte Prof. Dr. Edda Müller von der Verbraucherzentrale Bundesverband (VzBv) dem Lebensmitteldiscounter anlässlich dieser Diskussionsrunde ausdrücklich.
Walter Pötter, Generalbevollmächtigter der Lidl-Stiftung & Co. KG, bestätigte: "Wir waren geschockt. Die Kunden haben uns die gelbe Karte gezeigt, aber wir haben unsere Lektion gelernt." Deshalb sei innerhalb eines Jahres auf freiwilliger Basis und in Kooperation mit Verbänden und dem Verbraucherschutz ein bislang einzigartiges, umfassendes Qualitätsmanagement eingeführt worden. Eine umfassende Datenbank mit 24.000 Gutachten dokumentiere das System, das in dieser Form ein Novum im deutschen Lebensmittelhandel sei. "Wir legen diese Daten gerne offen", so Walter Pötter. Auf Basis dieses vernetzten Systems über alle Prozessstufen hinweg - vom Erzeuger bis hin zur Verkaufstheke in den Supermärkten - habe Lidl im vergangenen Herbst Weintrauben aus dem Sortiment genommen. "Wenn deutlich mehr als 90 % der in unserem Unternehmen gezogenen Proben laut der Datenbank unterhalb eines Drittels der zulässigen Höchstmengen gelegen haben, dann ist das der Erfolg unseres neuen Qualitätsprogramms", machte Pötter deutlich.
Prof. Dr. Edda Müller vom VzBv würdigte die Qualitätsoffensive und zeigte sich überzeugt, dass dieser Erfolg nicht zuletzt den Verbrauchern zu verdanken sei, die sich für eine hohe Qualität ihrer Lebensmittel einsetzten. Allerdings sehe sie die Gefahr, dass nur große Handelsunternehmen in der Lage seien, solche aufwändigen Systeme zu etablieren. Insofern sei der Staat gefordert, sich nicht weiter aus der Kontrolle zurückzuziehen. Dies gelte insbesondere vor dem Hintergrund, dass die staatliche Kontrolle - anders als privatwirtschaftliche Systeme - erst im Handel ansetzten, und Nachweise von Rückständen i.d.R. deshalb erst dann erfolgten, wenn das betroffene Produkt bereits vermarktet worden sei. Darüber hinaus sei bislang noch unzureichend geklärt, wie Mehrfachrückstände unterschiedlicher Pflanzenschutzmittel in einem Produkt zu bewerten seien. "Insofern muss heute konstatiert werden, dass im deutschen Markt insgesamt noch keine flächendeckende und umfassende Kontrolle stattfindet, auch wenn - im Zusammengehen von Handel und Qualitätssicherungssystemen wie QS und EurepGap - bereits positive Entwicklungen zu verzeichnen sind", stellt Edda Müller fest.
Dr. Hermann-Josef Nienhoff, Geschäftsführer der QS Qualität und Sicherheit GmbH, betonte die Bedeutung, die stufenübergreifenden Systemen zur Qualitätssicherung zukommt. So umfasse QS die gesamte Produktionskette vom Erzeuger über Handel und Verarbeitung bis hin zum Lebensmitteleinzelhandel und decke dabei nicht nur die Prozesskontrolle, sondern gleichzeitig auch die Produktkontrolle ab. So könne gewährleistet werden, dass weder Höchstmengenüberschreitungen noch die Verwendung unerlaubter Pflanzenschutzmittel zu Problemen führten. Im Übrigen stehe ein System wie QS nicht nur "den Großen am Markt" zur Verfügung; indem etwa der Großhandel an dieser Qualitätssicherung teilnehme, komme dies automatisch auch "dem kleinen Lebensmitteleinzelhändler um die Ecke" zugute. Allerdings, und dies dürfe man bei allem vorsorgenden Verbraucherschutz nicht vergessen: "Eine hundertprozentige Sicherheit gibt es auch bei umfassender Qualitätssicherung nicht", so Dr. Nienhoff.
Dr. Kristian Möller von EurepGap stellte fest, dass Qualitätssicherung auch bedeute, "die Verbraucherwünsche an den Erzeuger zu bringen". Insofern sei die Partnerschaft zwischen Erzeugern und Handel ganz wesentlich. Daneben sei aber auch die Dokumentation und die zentral gespeicherte Kontrolle innerhalb der Kette bis zum Lebensmitteleinzelhandel von zentraler Bedeutung. Im Segment Obst und Gemüse, so könne festgestellt werden, sei in Deutschland inzwischen eine umfassende Qualitätssicherung bei 70 bis 100 Prozent der Waren bereits heute Realität.
Auf die Festlegung und Bedeutung von Höchstwerten für Pflanzenschutzmittel verwies Dr. Christian Grugel, Präsident des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit. So seien Lebensmittel grundsätzlich sicher, wenn die gesetzlichen Höchstmengen eingehalten würden. Sie seien auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse für eine lebenslange Aufnahme konzipiert und würden bei neuen Erkenntnissen automatisch angepasst. Zusätzlich werde bei der Festlegung von Höchstwerten jeweils noch der "Faktor 100" genutzt, d.h. die eigentlich als sicher eingestuften Höchstmengen würden aus Vorsorgegründen nochmals um den Faktor 100 reduziert. Im Übrigen seien etwa für Kleinkinder nochmals gesonderte Werte festgelegt worden. Insofern sei es als reine Vorsorgemaßnahme zu verstehen, wenn Produkte mit geringen Überschreitungen der zulässigen Höchstmengen jeweils aus dem Verkehr gezogen würden. Gleichermaßen aus Sicht von Behörden und Handel sei aber derzeit noch unbefriedigend, dass zwar schon eine ganze Reihe von Höchstmengen einheitlich für Europa festgelegt worden seien, darüber hinaus aber auch noch weiterer Harmonisierungsbedarf bestehe.
Prof. Dr. Brigitte Petersen von der Universität Bonn zeigte sich mit Blick auf die zukünftige Situation überzeugt, dass die privaten Systeme zur Qualitätssicherung den Wettbewerb um "mehr Qualität" noch weiter ankurbeln würden. Die Strukturen seien inzwischen geschaffen und verfügbar, müssten aber nun auch auf allen Stufen konsequent umgesetzt und mitgetragen werden. Das sei nicht zuletzt mit dem in Deutschland geltenden Lebensmittelrecht zu begründen, nach dem jeder, der Produkte in Verkehr bringe, dafür auch die Verantwortung zu übernehmen habe. Das - schon jetzt erkennbare - Erfolgsgeheimnis stufenübergreifender Ansätze liege in dem Dialog zwischen Kunde und Lieferant, so die Wissenschaftlerin.
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