Börsen-Zeitung: Merrills Rettungsanker, Kommentar zum neuen Chef bei Merrill Lynch von Dieter Kuckelkorn
Frankfurt (ots)
Als John Thain Anfang 2004 das Ruder der New York Stock Exchange(Nyse) übernahm, sahen die meisten Beobachter in der altehrwürdigen Institution ein Auslaufmodell. Jetzt, also zum Zeitpunkt des Wechsels von Thain an die Spitze des Brokerhauses Merrill Lynch, gilt Nyse Euronext als schlagkräftiger und weltweit führender Börsenkonzern. Unterm Blech leidet die Nyse zwar noch immer unter vielen der alten Probleme. Thain ist es aber zu verdanken, dass sich der Börsenbetreiber nach der Akquisition von Euronext nach außen in strahlendem Licht präsentiert.
Thain, so hat man sich offenbar im Merrill-Board gedacht, ist damit genau der richtige Mann für die Mission, bei der es um nichts Geringeres als die Rettung des angeschlagenen Wall-Street-Hauses geht. Er dürfte den Mut zu tiefgreifenden Veränderungen haben. Vor allem aber könnte es ihm gelingen, den Blick von den schwerwiegenden Problemen bei Merrill abzulenken. Dem Vernehmen nach ist der eigentliche Favorit für den Job bei Merrill, BlackRock-Gründer Larry Fink, leer ausgegangen, weil er gefordert hatte, Merrill müsse zunächst im Hinblick auf die zahlreichen faulen Assets im Portfolio reinen Tisch machen. Das kann sich Merrill jedoch derzeit offensichtlich nicht leisten, was Rückschlüsse auf das Ausmaß der Schwierigkeiten zulässt. Thain bevorzugt dagegen einen behutsameren Ansatz: Es werde einige Zeit dauern, bis die Probleme gelöst seien, ließ er sich bereits vernehmen, wobei er eine Zeitspanne von bis zu einem Jahr nannte. Der Tiefpunkt sei noch nicht erreicht, mahnte er.
Dem ist zuzustimmen: Merrill hat zwar bereits Abschreibungen auf Subprime-Assets von 8,4 Mrd. Dollar angekündigt. Analysten rechnen aber mit weiterem Korrekturbedarf von 10 Mrd. Dollar oder noch mehr. Daher ist das Rating in Gefahr und das Misstrauen gegenüber dem veröffentlichten Zahlenwerk groß. Thain hat schon damit begonnen, am Image seines neuen Arbeitgebers zu feilen: Merrill sei ein "tolles Unternehmen", das lediglich über "ein Problemfeld" verfüge, in dem er sich aber gut auskenne, sagte er in einem Interview. Interessant ist übrigens, weshalb Thain nicht bei der noch deutlich größeren Citigroup als CEO anheuert. Er wisse nicht, ob irgendjemand in der Lage sei, die Situation bei der Citigroup zu bewältigen, soll er angemerkt haben.
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