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Börsen-Zeitung: Die Fed kapituliert, Kommentar zur Zinssenkung in den USA von Bernd Neubacher

Frankfurt (ots)

Die Anleger haben Panik bekommen, und die
US-Notenbank heizt sie an. Die überraschende Leitzinssenkung vom 
Dienstag wird das Ansehen der Federal Reserve langfristig und die 
Autorität von Ben Bernanke bis Ende seiner Amtszeit als 
Notenbankgouverneur im Januar 2010 beschädigen. Gerade in turbulenten
Zeiten bräuchte der Markt eine Geldpolitik, auf die Verlass ist. 
Bernanke aber hat sich für eine Art Management by surprise 
entschlossen. Noch vor Handelsbeginn, bevor die US-Aktienkurse die 
Chance hatten, sich eventuell aus eigener Kraft von den Verlusten der
Vorwoche zu erholen, öffnetete er in voraus eilendem Gehorsam die 
geldpolitischen Schleusen. Der Lehrmeinung nach dauert es ganze sechs
Monate, bis eine Änderung des Leitzinses ihre Wirkung entfaltet. 
Bernanke aber hat nicht einmal mehr acht Tage bis zur nächsten 
regulären Sitzung des Offenmarktausschusses warten wollen.
Nach den Märkten ist auch die Geldpolitik unberechenbar geworden. 
Wenn schon der Notenbankchef die Ruhe verliert, warum sollen dann die
Marktteilnehmer besonnen bleiben? Mit 75 Basispunkten ist die 
außerordentliche Kürzung großzügiger ausgefallen als nach den 
Terroranschlägen vom September 2001. Damals senkte die Fed um 50 
Basispunkte auf 3%, und es dauerte gerade einmal neun Monate, bis sie
bei 1% angelangt war. Ähnliches können sich Anleger auch diesmal 
ausrechnen, schließlich rechnen Volkswirte schon vor, dass die 
Notenbank, um einer Rezession entgegen zu wirken, auch in der 
Vergangenheit ihren gesamten Straffungsprozess zu revidieren pflegte.
Was aber wird passieren, wenn Bernanke den US-Leitzins bis September 
auf 1% herunter schleust und die Turbulenzen dennoch anhalten? 
Darauf, dass die groß angelegte Enthebelung an den Finanzmärkten bis 
Spätsommer abgeschlossen ist, will derzeit kaum jemand wetten.
Inhaltlich ist die Zinskürzung ja zu rechtfertigen. Die 
Stimmungsindizes und der jüngste Arbeitsmarktbericht deuten auf eine 
Schrumpfung der US-Wirtschaft hin. Und es mag ja sein, dass die Fed 
die vom Subprime-Sektor ausgehende Kreditkrise zunächst unterschätzt 
hat - das Debakel im Sektor für Hypotheken minderer Qualität wiege 
schwer, bleibe aber weitgehend eingedämmt, sagte Bernanke noch im Mai
vergangenen Jahres.
Ob die Geldpolitik aber die Kreditklemme lösen kann, die vom 
Finanzmarkt auf die Realwirtschaft überzugreifen beginnt, steht 
dahin. Einer großzügigeren Vergabe von Darlehen stehen in erster 
Linie Solvenz- und Kreditrisikosorgen entgegen. Und ihnen ist nicht 
beizukommen, indem die Fed den Leitzins senkt, sondern indem die 
Gläubiger ihre Verluste offen legen und abschreiben. Die Zentralbank 
kontrolliert nur, wie viel Kredit kostet, nicht aber, in welchem 
Ausmaß er zur Verfügung steht. Und die Probleme des 
US-Immobilienmarkts wird Bernanke mit der großen Zinskürzung ohnehin 
nicht lösen. Dies weiß er selbst. Andernfalls würde er zugleich wohl 
kaum die von Präsident Bush geplanten Steuererleichterungen 
unterstützen.
Die Wahl des Zeitpunkts der Zinssenkung ist verheerend. Der 
Arbeitsmarktbericht lag schon vor gut zwei Wochen vor, und mit der 
Zinskürzung nach vier Tagen fallender Kurse von US-Aktien setzt sich 
der Notenbankgouverneur dem Verdacht aus, sich in seiner Geldpolitik 
vom Aktienmarkt beeinflussen zu lassen. Dabei ist es doch ein alter 
Hut, dass die Kursausschläge zunehmen, wenn der Kredit knapper wird. 
Laut ihrem Mandat hat die Federal Reserve die Aufgabe, das Ziel 
maximaler Beschäftigung, stabiler Preise und moderater langfristiger 
Zinsen zu verfolgen - von einer Glättung von Turbulenzen am 
Finanzmarkt ist nicht die Rede. Bisher schien sich der 54-jährige 
Notenbankgouverneur für die Anlageverluste von Marktteilnehmern nicht
verantwortlich zu fühlen.
Nun hat er offenbar kapituliert. So lange er dem 
Offenmarktausschuss vorsitzt, werden Investoren jedenfalls darauf 
wetten, dass die Notenbank ihnen aus der Patsche helfen wird, 
verrennen sich nur genug Anleger in teure Fehlspekulationen. Dass 
Analysten eine neuerliche Zinssenkung in der kommenden Woche von der 
weiteren Entwicklung am Aktienmarkt abhängig machen, zeigt, welches 
Signal Bernanke und der Offenmarktausschuss gesendet haben. Ganz so 
weit, dass ein Schmelzen der Bewertungen am Aktienmarkt das 
Reinvermögen der US-Bürger zerstöre und zur Rezession beitrage, ist 
es freilich noch nicht: Im dritten Quartal zogen sie dank höherer 
Aktienkurse in einer Jahresrate von 5,6% an, wie die Federal Reserve 
Anfang Dezember mitgeteilt hat.
Aus dem so genannten Greenspan-Put ist der Bernanke-Put geworden. 
Dabei hat doch gerade der amtierende Zentralbankchef die 
langfristigen Folgen einer leichten Geldpolitik schmerzhaft zu spüren
bekommen. Bernanke sei in einer sehr schwierigen Situation, hat 
Greenspans Vorgänger Paul Volcker erst vor wenigen Tagen zu Protokoll
gegeben: "Zu viele Blasen haben zu lange angedauert. Die Fed hat die 
Situation nicht wirklich unter Kontrolle." Außer ihrem Habitus hat 
die US-Notenbank demnach kaum mehr Instrumente, ihre Geldpolitik am 
Markt durchzusetzen. Ben Bernanke wird womöglich in die Annalen 
eingehen als der Notenbankgouverneur, unter dem die Fed auch dieses 
Werkzeug aus der Hand gab.

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