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Börsen-Zeitung: Von Risiken und Chancen, Börsenkommentar "Marktplatz" von Thorsten Kramer

Frankfurt (ots)

Die Finanzkrise hält die Aktienmärkte fest in
ihrem Griff. Diesen Satz hat man an den globalen Börsen in den 
vergangenen Wochen und Monaten immer und immer wieder gehört, aber er
hat seine Gültigkeit nicht verloren. In den vergangenen Tagen 
lieferten die US-Investmentbank Lehman Brothers und die größte 
US-Sparkasse Washington Mutual einmal mehr Hiobsbotschaften und 
verunsicherten die Anleger aufs Neue. Zudem fürchteten Investoren um 
den US-Versicherer AIG. Dies drückte kräftig auf die Notierungen. 
Erst als vor dem Wochenende erste Meldungen über die bevorstehende 
Rettung von Lehman Brothers kursierten, stabilisierten sich die 
Aktienmärkte wieder. Dies änderte aber nichts daran, dass Europas 
meistbeachtete Aktienindizes - nach drei schwachen Handelstagen zur 
Wochenmitte - auf niedrigem Niveau verharrten.
Steht den Aktienmärkten also womöglich ein heißer Herbst bevor? 
Schließlich zählen September und Oktober historisch betrachtet zu den
schwachen Börsenmonaten. Um diese Frage zu beantworten richten 
Anleger ihr Augenmerk nun vor allem auf die zur Veröffentlichung 
anstehenden Bilanzberichte von Goldman Sachs und Morgan Stanley am 
Dienstag und am Mittwoch. Beide dürften sich dem angespannten Umfeld 
für den Handel und das Investment Banking nicht entzogen haben. 
Bleiben allerdings unliebsame Überraschungen für den Markt aus, 
können die Zahlen die Transparenz weiter erhöhen und zur 
Stabilisierung im Bankensektor beitragen und somit auch den 
Gesamtmarkt stützen.
Von der Konjunkturseite ist hingegen kaum Unterstützung zu 
erwarten. Am Freitag enttäuschten die Einzelhandelsdaten aus den 
Vereinigten Staaten die Analysten, die mit einem leichten Anstieg im 
August gerechnet hatten. Stattdessen fielen die Umsätze im Vergleich 
zum Vormonat um 0,3% und warfen einen Schatten auf den privaten 
Konsum. Dessen Perspektiven hatten schon sieben Tage zuvor einen 
schweren Schlag erlitten, als die US-Regierung einen schwachen 
Arbeitsmarktbericht für August veröffentlicht hatte. Wen wundert es 
also,dass der inzwischen scharfe Rückgang des Ölpreises auf zeitweise
unter 100 Dollar pro Barrel sowie der Rückgang des Euro im Vergleich 
zum Dollar den Anlegern an Europas Aktienmärkten keinen Mut machen?
Dem nachhaltigen Pessimismus, der laut jüngst veröffentlichten 
Umfragen sowohl unter Institutionellen als auch unter Privatanlegern 
immer stärker um sich greift, ist allerdings Positives abzugewinnen. 
Schließlich lehren die Erfahrungen zurückliegender Baisse-Phasen mit 
ausgeprägter Missstimmung, dass genau dann die größten Chancen 
bestanden. Extremer Pessimismus wird deshalb in aller Regel als 
Kontra-Indikator interpretiert; denn Anleger, die sich negativ über 
die Perspektiven der Märkte äußern, haben sich zuvor längst von ihren
risikobehafteten Investments getrennt.
Derzeit schon von Chancen zu sprechen wäre vermessen. Allerdings 
dürfte der hohe Pessimismus in jedem Fall dazu beitragen, dass die 
Aktienmärkte recht gut auf der Unterseite abgesichert sind. Deshalb 
drückten weder der schwache US-Arbeitsmarkt noch die anderen 
negativen Entwicklungen der vergangenen Tage die Indizes auf 
niedrigere Niveaus. Der deutsche Leitindex Dax beispielsweise notiert
weiterhin in der Handelsspanne zwischen 6000/6100 und 6550/6630 
Punkten, obwohl ihm viele Akteure aus dem Bärenlager längst - und 
nicht nur einmal - den Rutsch unter die 6000er-Schwelle prophezeit 
hatten. Mit jedem Tag, mit dem der Dax die untere technische 
Unterstützungszone verteidigt, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass 
der Index die Handelsspanne nach oben verlässt. Obwohl viele 
Marktanalysten mit diesem Anstieg noch vor dem näher rückenden 
Jahresende rechnen, ist in dieser Hinsicht aber eher Zurückhaltung 
gefragt.
Der ebenso näher rückenden Bilanzsaison zum dritten Quartal dürfen
Anleger indes mit verhaltener Zuversicht entgegensehen. Zwar sind die
Erwartungen immer noch recht hoch, allerdings haben das auch die 
meisten Strategen erkannt und die Anleger auf schwache Daten 
vorbereitet. Dies eröffnet den Unternehmen dann doch den Raum, mit 
den Geschäftszahlen nicht zu enttäuschen.
(Börsen-Zeitung, 13.9.2008)

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