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Börsen-Zeitung: Stumpfes Schwert Kommentar zur konzertierte Notenbankaktion, von Jürgen Schaaf.

Frankfurt (ots)

Die globale Zinssenkung vom Mittwoch zeugt vom
Verantwortungsgefühl der Währungshüter. Mit vereinten Kräften 
versuchen sie, die ausufernde Finanzkrise in den Griff zu bekommen. 
Das ist ehrenwert. Leider ist die Geldpolitik in diesem Umfeld 
weitgehend wirkungslos.
In einer abgestimmten Aktion haben die großen Notenbanken der Welt
- die Europäische Zentralbank (EZB), die US-Notenbank Federal Reserve
(Fed) sowie vier weitere - die Leitzinsen gesenkt. Obwohl die EZB bei
ihrer jüngsten Sitzung am 2. Oktober bereits verbal den Boden 
bereitet hatte für plötz liches - und auch koordiniertes - Handeln, 
kam der Schritt doch überraschend. Er kann durchaus als historisch 
bezeichnet werden. Gespielt wurde die Karte einer gemeinsamen 
Zinssenkung zuletzt nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 
- und damals waren weit weniger Notenbanken im Konzert vertreten.
Das Gute an dem Coup ist: Er signalisiert den Finanzmärkten, dass die
Zentralbanken den Ernst der Lage erkannt haben und sich mit vereinten
Kräften gegen die Krise stemmen. Die Signalwirkung einer gemeinsamen 
Aktion ist prinzipiell weitaus stärker als die von einzelnen 
Maßnahmen.
Das Dramatische dagegen ist, dass die Zinssenkungen am Kern des 
Problems der derzeitigen Finanzkrise vorbeigehen. Diese ist von einer
anderen Qualität und birgt ein vielfach größeres Bedrohungspotenzial 
für die Wirtschaft als das Platzen der Aktienblase im Jahr 2000 in 
Verbindung mit den Terroranschlägen im Folgejahr. Derzeit tobt eine 
globale Finanzkrise, die sich zusammensetzt aus einer Immobilienkrise
in den USA sowie Teilen Europas, einer Kreditkrise und einer 
Bankenkrise. Jede einzelne davon besitzt das Potenzial, eine 
Rezession auszulösen. Kombiniert können sie die Weltwirtschaft in den
Abgrund reißen.
Am schwersten wiegt, dass das gesamte westliche Bankensystem 
inzwischen am Boden liegt. Die Kreditinstitute trauen sich nicht mehr
über den Weg, leihen sich unter einander kein Geld mehr aus. Viele 
unter ihnen haben Solvenzprob leme, verkürzen die Bilanzen, meiden 
das Risiko der Kreditvergabe und gieren nach Kapitalspritzen.
Eine Zinssenkung ist in dem derzeitigen Umfeld ein stumpfes Schwert. 
Wenn die Banken keinen oder kaum Kredit vergeben, weil sie die 
eigenen Bilanzen aufräumen oder sogar komplett unter gehen, werden 
die niedrigen Zinsen nicht an den Unternehmens- und Haushaltssektor 
weitergereicht. Die ökonomische Logik, dass Investitionen sowie der 
Konsum stimuliert werden, bleibt dann ein frommer Wunsch. Neben der 
umfangreichen anekdotischen Evidenz aus dem Alltag der Unternehmen 
deuten auch die Daten aus den Kreditumfragen der Notenbanken darauf 
hin, dass wir diesseits (bislang mit Ausnahme Deutschlands) wie 
jenseits des Atlantiks unweigerlich auf eine Kreditklemme zusteuern.
Zur Ehrenrettung der Notenbanken sei aber gesagt, dass das Lockern
der Zinsschraube auch keinen Schaden anrichten wird. Zum einen ist 
die Kreditvergabe ja noch nicht völlig zum Erliegen gekommen. Zum 
anderen werden sich die Inflationssorgen, die vor allem die EZB 
bislang von Zinssenkungen abgehalten und im Sommer sogar noch zu 
einer Erhöhung verleitet haben, sehr bald in Luft auflösen. Der 
bevorstehende wirtschaftliche Abschwung hat das Zeug, von der zweiten
Hälfte des kommenden Jahres an die Gefahr einer Deflation auf die 
geld- und wirtschaftspolitische Tagesordnung zu setzen. Die 
Parallelen zur verlorenen Dekade der Japaner sind offensichtlich. Was
droht, ist ein dramatischer Einbruch der gesamtwirtschaftlichen 
Nachfrage sowohl in den USA als auch in Europa. Weitere Zinssenkungen
sind dann unvermeidbar. Aber sie werden aus besagten Gründen nicht 
reichen.
Was ist zu tun? Wichtig ist, dass zunächst der Bankensektor wieder
zum Leben erweckt wird. Ohne ein funktionsfähiges Finanzsystem 
kollabiert die Wirtschaft. Konkret gilt es am Kapital der 
Kreditinstitute anzusetzen. Die faulen Kredite aufzukaufen, wie es 
der Paulson-Plan für die USA vorsieht, ist der falsche Weg: Zum einen
weiß niemand, wie viele der verseuchten Wertpapiere im Umlauf sind, 
zum zweiten gibt es keinen Marktpreis dafür. Nicht von ungefähr haben
die Finanzmärkte den Glauben an die Wirkung des 
700-Mrd.-Dollar-Pakets bereits verloren, bevor überhaupt ein Cent 
geflossen war.
Gezielte Kapitalhilfen privater oder staatlicher Geldgeber sind 
stattdessen ebenso erforderlich wie Ausfallgarantien des Souveräns - 
in den USA, aber auch in Europa. Dies kann bis zur Verstaatlichung 
einzelner Institute führen. Neue Bankenpleiten müssen ebenso 
verhindert werden wie öffentliche Panik, die zum Ansturm der 
Kleinanleger auf die Banken führen könnte. Nur wenn der Kreditsektor 
gesundet, können Zinssenkungen der Notenbanken greifen.
Dass das teuer wird, auch und vor allem für den Steuerzahler, ist 
so offenkundig wie unvermeidlich. Aber diese ordnungspolitischen 
Bedenken müssen fallen angesichts der Alternative einer schweren 
wirtschaftlichen Depression.
(Börsen-Zeitung, 9.10.2008)

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