Börsen-Zeitung: Deckmantel Geldpolitik, Kommentar zur monatlichen Zinsentscheidung der EZB von Jürgen Schaaf
Frankfurt (ots)
Wenn am morgigen Donnerstag der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), Jean-Claude Trichet, die monatliche Zinsentscheidung seines Hauses erläutert, dürfte er drei elementare Dinge ansprechen: erstens dass die EZB den Leitzins erneut gesenkt hat. Zweitens dass sie zudem erwägt, Schuldtitel privater Emittenten zu kaufen, und drittens dass sie im Kampf gegen die Rezession den Kauf von Staatsanleihen - vorerst - ausschließt. Diese Informationen sind wichtig. Genauso wichtig wäre aber die Diskussion einiger Punkte, die sicherlich nicht zur Sprache kommen. Aber dazu später.
Zinssenkung voraus
Erstens wird der 22-köpfige EZB-Rat ziemlich sicher erneut den Leitzins senken. Zwar haben die Währungshüter den sogenannten Hauptrefinanzierungssatz seit Oktober des vergangenen Jahres bereits um satte 2,75 Prozentpunkte auf derzeit 1,5% gekappt. Aber selbst diese umfangreiche Verbilligung der Bankenrefinanzierung reicht offenbar noch nicht aus, um der moribunden Wirtschaft wieder Leben einzuhauchen und den Absturz der Inflationsrate zu stoppen. Letztere ist seit ihrem Hoch von 4,0% im Juli 2008 um sage und schreibe 3,4 Prozentpunkte auf 0,6% im März gefallen.
Legt man eine einfache Taylor-Regel,eine grobe Faustregel zur Zinsbestimmung, zugrunde, müsste der EZB-Zins bereits im negativen Terrain liegen. An dieser Front besteht also Handlungsbedarf. Zwei Optionen sind konkret denkbar. Entweder wird der Leitzins um 50 Basispunkte auf 1,0% gesenkt, und der Einlagenzins, der normalerweise 100 Basispunkte unter dem Leitzins liegt, wird nicht ganz so stark reduziert, sondern von derzeit 0,5% auf 0,25% abgesenkt. Oder die EZB belässt den Korridor zwischen den beiden Zinssätzen und senkt den Leitzins nur um 25 Basispunkte auf 1,25%, sodass der Einlagenzins ebenfalls auf 0,25% sinken würde.
Effektiv machen die beiden Varianten keinen großen Unterschied. Entscheidend ist, dass eine Absenkung des Einlagenzinses in dem derzeitigen Umfeld den effektiven Tagesgeldsatz, den Euro Overnight Index Average (Eonia) am Interbankenmarkt weiter drücken wird, dabei aber positiv bleibt. Die Nullgrenze soll die Einlagenfazilität nicht erreichen, da der Tagesgeldmarkt dann nicht mehr funktionieren würde.
Neben der Zinssenkung dürfte die EZB den Banken zukünftig Refinanzierungsgeschäfte mit einer Laufzeit bis zu einem Jahr anbieten statt wie bisher mit maximal sechs Monaten. Das würde den Banken Sicherheit bei ihrer Liquiditätsplanung geben.
Zweitens dürfte Trichet ankündigen, dass die EZB erwägt, Schuldtitel privater Emittenten aufzukaufen, um die Kreditversorgung der Wirtschaft über die Möglichkeiten der Zinspolitik hinaus zu stimulieren. Unternehmensanleihen, Commercial Papers und Bankschuldverschreibungen kommen in Frage. Der Vorsitzende der US-Notenbank Federal Reserve, Ben Bernanke, nennt diese in den Vereinigten Staaten bereits angewandte Strategie "credit easing". Bisher akzeptiert die EZB solche Wertpapiere nur als Sicherheiten im Rahmen ihrer Refinanzierungsgeschäfte mit den Banken. Durch den effektiven Kauf bekommen die emittierenden Unternehmen und Banken zwar Liquidität direkt von der Zentralbank, die derzeit im Bankensektor zu versickern droht. Die EZB geht aber auch ein erheblich höheres Verlustrisiko ein, wenn sie Eigentümerin dieser Wertpapiere wird.
Drittens dürfte Trichet klarstellen, dass die EZB anders als die Zentralbanken in den USA, Japan oder Großbritannien nicht mit dem Gedanken spielt, Staatsanleihen aufzukaufen. Die Staatsfinanzierung durch die Notenbank, die im Maastricht-Vertrag für den Primärmarkt ausdrücklich verboten ist, dürfte auch in der indirekten Variante des Kaufs von Staatsanleihen über den Sekundärmarkt vorerst nicht auf die Agenda rücken, um gar nicht erst in den Verdacht der Schuldenfinanzierung zu geraten.
Offene Fragen
So weit die Klarstellungen, die zu erwarten sind. Offen dürfte dagegen bleiben, wie sich die EZB vorstellt, alle Unternehmen chancengleich an ihrer Liquiditätsversorgung teilhaben zu lassen. Wie gedenken die Währungshüter die Versorgung des Mittelstands mit Krediten sicherzustellen, der keine Anleihen oder Commercial Papers begibt? Auch das Auswahlverfahren der konkreten Unternehmen ist nichts anderes als Industriepolitik unter dem Deckmantel der Geldpolitik. Noch wichtiger: Wer trägt die Verluste, die gegebenenfalls anfallen, wenn Emittenten ausfallen? Wie werden diese aufgeteilt? Werden Absprachen mit den Finanzministern getroffen, von denen die Öffentlichkeit überdies in Kenntnis gesetzt wird? Es wäre nicht fair, die Währungshüter aufgrund dieser Problematik zu verteufeln. Zu vertrackt ist die Lage, als dass auf alles eine einfache Antwort zu geben wäre. Es ist dies nicht die Zeit der Bedenkenträger. Aber neben aggressiven, unkonventionellen Maßnahmen müssen Exit-Strategien für die Zeit nach der Krise aufgezeigt werden und die Verantwortlichkeiten im Vorhinein sichtbar sein.
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