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Börsen-Zeitung: Trügerische Normalität, Börsenkommentar "Marktplatz" von Dieter Kuckelkorn

Frankfurt (ots)

Allen Unkenrufen zum Trotz haben die
Aktienmärkte in der gerade beendeten Handelswoche aufs Neue deutliche
Kurszuwächse verzeichnet. Der Dax beispielsweise kam auf ein Plus 
gegenüber dem Freitag der Vorwoche von 1,4%. Seit Jahresanfang hat 
der deutsche Leitindex bereits um 19% angezogen. Wie es scheint, 
kehrt die Normalität zurück, denn der Dax liegt nur noch 10% unter 
dem Stand unmittelbar vor dem Konkurs der US-Investmentbank Lehman 
Brothers vor gut einem Jahr.
Getragen wird die Zuversicht der Anleger im Wesentlichen von 
Konjunkturdaten, wobei der Markt, wie die Analysten der WestLB 
anmerken, vor allem auf die kontinuierliche Verbesserung der 
Erwartungskomponente reagierte. Auf den Frühindikatoren basieren auch
die erstaunlich optimistischen Gewinnerwartungen der Analysten. So 
wird beispielsweise für die Aktien aus dem Stoxx-600-Universum im 
Schnitt für das laufende Jahr gar kein Gewinnrückgang, sondern - man 
höre und staune - ein leichter Anstieg der Ergebnisse erwartet.
2010 sollen die Unternehmen dann aus dem Vollen schöpfen: 
Prognostiziert wird eine Verbesserung der Ertragslage um fast 30%. 
Dabei erscheinen die Märkte auf den ersten Blick nicht einmal teuer. 
Der Dax etwa kommt auf Basis der Ergebnisschätzungen für 2010 auf ein
Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von 12,6, womit er den langjährigen 
Durchschnitt trotz der Rally immer noch unterbietet.
Die Erwartung einer Rückkehr zur Normalität könnte sich allerdings
als trügerisch erweisen. Eine Analyse zeigt, dass das Marktumfeld 
keineswegs so positiv ist, dass das Tempo und der Umfang der Rally 
damit zu rechtfertigen wären.
So lässt sich die aktuelle Lage schon deshalb nicht als normal 
bezeichnen, weil die Rally nicht von einem kraftvollen Aufschwung 
getragen wird - die wichtigsten Volkswirtschaften haben die schwerste
Rezession seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs gerade erst hinter 
sich gelassen. Es existieren bislang fast nur "Green Shoots" in Form 
von hoffnungsvoll stimmenden Frühindikatoren, deren Perspektiven erst
noch durch harte Fakten in Form einer zügig erfolgenden 
konjunkturellen Erholung untermauert werden müssen. In dieser 
Hinsicht bestehen nach wie vor Zweifel, denn beispielsweise der 
Arbeitsmarkt dürfte bis weit ins kommende Jahr hinein steigende 
Arbeitslosenquoten aufweisen. Damit zeichnet sich ab, dass die 
Gewinnerwartungen, die den scheinbar günstigen Bewertungsniveaus 
zugrunde liegen, zu optimistisch sind.
Es ist auch keineswegs der Normalfall, dass die Rally durch 
gewaltige Liquiditätsmengen alimentiert wird, mit denen die 
Notenbanken die Märkte zur Verhinderung einer finanziellen 
Kernschmelze geflutet haben. Sollten insbesondere die Zentralbanken 
ernsthaft damit beginnen, die Liquidität wieder zurückzuführen, 
werden die zahlreichen Mini-Bubbles, die sich mittlerweile bei 
Aktien, Rohstoffen, Anleihen sowie Assets aus den Emerging Markets 
aufgebaut haben, unweigerlich platzen. Ein Kurswechsel der 
Notenbanken wird spätestens dann erfolgen, wenn die derzeit noch 
durch Abwesenheit glänzende Inflation wieder in Erscheinung tritt.
Für den deutschen Aktienmarkt gibt es noch weitere Gefahren. Als 
kurzfristiger Faktor zu nennen ist die Bundestagswahl am 27. 
September. Zwar haben politische Börsen meist kurze Beine. Zu 
erwarten ist aber dennoch, dass sich die Marktakteure umso mehr 
zurückhalten werden, je näher der Wahltermin rückt. Dies gilt vor 
allem dann, wenn der laut Umfragen immer noch vorhandene minimale 
Vorsprung für eine schwarz-gelbe Regierungskoalition abhandenkommen 
sollte.
Von noch größerer Bedeutung ist die Dollar-Schwäche. Sie könnte, 
insbesondere wenn der Greenback rasch an Wert verliert, die 
Gewinnprognosen für exportorientierte deutsche Unternehmen Makulatur 
werden lassen. Außerdem würde ein starker Wertverlust des Greenback 
auch das Vertrauen in die USA erschüttern, was auf eine tiefgreifende
Änderung des Marktumfelds hinausliefe.
Der deutsche Aktienmarkt weist somit ein hohes Rückschlagpotenzial
auf. Es wäre daher nicht verwunderlich, wenn die Rally bereits 
kurzfristig durch eine Korrekturphase abgelöst würde.
(Börsen-Zeitung, 19.9.2009)

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