Börsen-Zeitung: Die Baisse kann warten, Marktkommentar von Christopher Kalbhenn
Frankfurt (ots)
War da nicht was? Setzte sich nicht vor wenigen Wochen unter dem Einfluss enttäuschender Konjunkturdaten aus den USA bei den Marktteilnehmern die Überzeugung durch, dass der von Experten erwartete Rückfall der Industrieländer in die Rezession begonnen hat? Von der Angst, die im Sommer auf Aktien, den Ölpreis und den Euro drückte, ist an den Märkten derzeit nicht mehr viel zu spüren. Der Dax ist am Freitag - wenn auch vom Verfalltermin begünstigt - sogar wieder bis in die Nähe seines Jahreshochs vorgedrungen. Nur noch 66 Zähler fehlten dem deutschen Leitindex, ehe er zurückfiel. Der Euro, den die Risikoaversion vor wenigen Wochen bis auf 1,26 gedrückt hatte, hat in der gerade beendeten Woche Höhen von mehr als 1,31 Dollar erreicht.
Wirkung unterschätzt
Eine Serie zwar nicht besonders berauschender, aber dem Angstszenario "Double Dip" widersprechender Daten hat die Stimmung wieder umschlagen lassen. Sie könnten darauf hindeuten, dass die Wirkung der massiven fiskalischen und geldpolitischen Stimuli, die rund um den Globus zur Behebung der Krise ergriffen wurden, unterschätzt worden sind. Möglicherweise ist die Weltwirtschaft weniger rückschlaggefährdet, als manche Beobachter annehmen. Die Vorstellung, dass das Auslaufen von Ankurbelungsmaßnahmen und Lagerzykluseffekten umgehend in die nächste Rezession führt, war vielleicht zu einfach. Zudem werden die Stützungsmaßnahmen nicht über Nacht vollständig von der Bildfläche verschwinden. US-Präsident Barack Obama hat sogar ein neues, 50 Mrd. US-Dollar schweres Infrastrukturprogramm angekündigt. An ein frühzeitiges Ende der geldpolitischen Stützung ist schon gar nicht zu denken. Im Gegenteil: Die Notenbanken haben klar signalisiert, dass sie ihre Hilfsmaßnahmen länger aufrechterhalten werden, als noch vor wenigen Wochen vermutet wurde, so die Schweizerische Nationalbank, die die Zinswende nach oben nun ebenfalls verschoben hat. Zugegebenermaßen ist dies kein positives Signal, drückt die Haltung der Zentralbanken doch Skepsis bezüglich der Nachhaltigkeit der Konjunkturerholung und des Zustands des Finanzsystems aus.
Andererseits darf gerade aus den Verlautbarungen der amerikanischen Notenbank nicht eins zu eins auf Rezessionsgefahren geschlossen werden. Hier ist auch eine gehörige Portion Politik im Spiel. Die Fed steht gerade vor der Kongresswahl unter enormem Druck, mit monetären Maßnahmen zur Abwendung einer Rezession beizutragen - losgelöst von der Frage, ob diese das leisten können oder nicht. Zudem wollen sich die Währungshüter auch unabhängig von dem Wahltermin gegen eine Rezession "hedgen", d.h. sich nicht dem Risiko aussetzen, später dafür verantwortlich gemacht zu werden. Das ist der eigentliche Grund, warum sie in ihrer letzten geldpolitischen Sitzung beschlossen, auch mit Hypothekenkrediten unterlegte Wertpapiere ihres Bestands bei Fälligkeit durch den Kauf von Staatsanleihen zu ersetzen. Die in Verbindung mit schwachen Wirtschaftsdaten für Unruhe an den Märkten sorgende skeptischere Konjunkturprognose der Fed lieferte wiederum die passende Begründung für die Maßnahme. Interessant wird nun sein, was die Fed im Anschluss an ihre nächste geldpolitische Sitzung am Dienstag verkünden wird. Teile des Marktes spekulieren, dass die US-Währungshüter eine Ausweitung ihrer Staatsanleihekäufe verkünden werden.
Keine Alternative
Unabhängig davon gilt unverändert, dass das Umfeld niedrigster Zinsen und sehr hoher, Anlagen suchender Liquiditätsbestände noch für einen längeren Zeitraum erhalten bleibt. Wichtigen Marktteilnehmerkreisen bleibt angesichts unzureichender Renditen, die mit Kurzfristeinlagen und Anleihen bester Bonität zu erzielen sind, keine andere Wahl, als auf höher rentierliche Risiko-Assets wie Unternehmensanleihen, zyklische Rohstoffe oder eben auch Aktien zurückzugreifen. Solange dieses Umfeld Bestand hat, sind neue Jahrehöchststände im Dax wahrscheinlicher als ein über vorübergehende Korrekturen hinausgehender nachhaltigerer Kursrückgang. Die Baisse kann warten.
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