Börsen-Zeitung: Misstrauensvotum, Börsenkommentar "Marktplatz" von Christopher Kalbhenn
Frankfurt (ots)
Es ist noch nicht lange her, dass Prognosen eines baldigen Anstiegs des Goldpreises auf 1500 und mehr Dollar ins Reich der Phantasie verwiesen wurden. Mittlerweile bedarf es jedoch keiner Phantasie mehr, um sich einen Vorstoß des Edelmetalls auf 1600 oder auch 1700 in den kommenden Monaten vorzustellen. Denn der Unzenpreis bewegt sich derzeit mit beeindruckendem Tempo nach oben. Rekordhohe 1365 Dollar wurden jetzt erreicht, nachdem das Edelmetall Anfang August noch bei 1180 Dollar gelegen hatte. Seit Jahresbeginn hat sich ein stattlicher Gewinn von 25% angesammelt, seit Anfang 2007 ein Wertzuwachs von 115%. Nicht schlecht für einen Rohstoff, der um die Jahrtausendwende, als er in einem Bereich um 300 Dollar vor sich hindümpelte, als Anlage-Asset für tot erklärt wurde.
Der Run der Investoren auf das Gelbe Metall, der bei den Händlern die Münz- und Barrenbestände leert, stellt den Industrienationen und ihrer Wirtschaftspolitik ein schlechtes Zeugnis aus. Ob berechtigt oder nicht: Die Hausse der Edelmetalle ist ein klares Misstrauensvotum. Seitdem der Zusammenbruch des Finanzsystems und der Weltwirtschaft nur mit einem gigantischen, historisch einmaligen Bündel aus Konjunkturankurbelungspaketen und geldpolitischen Stützungsmaßnahmen abgewendet werden konnte, besteht dieses Misstrauen. Die sehr niedrigen Zinsen und die Liquiditätsschwemme, wird geargwöhnt, werden über kurz oder lang zu einer beschleunigten Geldentwertung führen. Die Regierungen könnten, so eine weitere Befürchtung, versucht sein, einen Teil ihrer hohen Schulden "wegzuinflationieren". Dass Inflationsängste ausgerechnet in einem Umfeld grassieren, in dem sich die Industrieländer in Wirklichkeit über Deflationsrisiken den Kopf zerbrechen müssen, untermauert nur, wie tief das Misstrauen sitzt und wie dringend Vertrauensbildung ist.
Alles andere als vertrauensbildend ist jedoch das, was die Anleger derzeit sehen. Die jüngste Beschleunigung der Gold-Hausse korrespondiert nicht zufällig mit dem Verfall des Dollar auf breiter Front. Seit die US-Notenbank signalisiert hat, die Staatsanleihekäufe zu forcieren, falls sich die konjunkturellen Aussichten weiter eintrüben, fällt der Dollar, und Anleger suchen aus Sorge vor einer Entwertung des Greenback ihr Heil im Gold. Hinzu kommt der Abwertungswettlauf bzw. die Versuche zahlreicher Länder, ihre stark steigenden Währungen zu bremsen. Von einem Währungskrieg war schon die Rede. In Ländern wie Brasilien, Japan und der Schweiz intervenieren die Notenbanken gegen die eigene Währung. Die Europäische Zentralbank verschiebt den längst fälligen Start ihres Ausstiegs aus den außergewöhnlichen Liquiditätshilfen, in Australien wird eine aufgrund anziehender Inflation notwendige Leitzinsanhebung aufgeschoben. Der Erhalt des Geldwerts - so die Botschaft, die bei den Anlegern ankommt - hat derzeit nicht die Priorität, die er haben sollte, und solange dieser Zustand anhält, wird der Goldpreis haussieren.
Nicht nur das Edelmetall ist derzeit in Hausse-Laune. Bemerkenswerterweise ziehen auch die Aktienmärkte der Schwellenländer stark an. Der Sammelindex MSCI Emerging Markets hat in der gerade beendeten Woche mit 1112 Zählern den höchsten Stand seit 27 Monaten erreicht. Allein seit Anfang September ist der Index um fast 15% gestiegen. Gold-Angstkäufe bei gleichzeitigem starken Zuspruch für Emerging-Market-Anlagen sind eine ungewöhnliche Kombination. Schließlich gehören letztere zu den riskanteren Assets.
Angelockt werden die Anleger von dem deutlich höheren Wachstum der Schwellenländer. Da dementsprechend die Unternehmensgewinne in den Emerging Markets stärker steigen, ist ihre Outperformance auch nachvollziebar. Schwellenländer haben aber noch mehr zu bieten. Sie haben eine deutlich geringere Verschuldung als die Industrienationen, einen positiven Rating-Trend, sind aufgrund der gewaltigen Devisenreserven vor allem Chinas insgesamt betrachtet Nettogläubiger, erwirtschaften mehrheitlich Leistungsbilanzüberschüsse und haben einen solideren Finanzsektor als die etablierten Volkswirtschaften. Insofern ist ihre Outperformance letztlich ebenfalls als eine Art Misstrauensvotum gegen die Industrieländer anzusehen.
(Börsen-Zeitung, 9.10.2010)
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