Börsen-Zeitung: Im Arabersturm, Marktkommentar von Christopher Kalbhenn
Frankfurt (ots)
Die Ereignisse in Nordafrika und im Nahen Osten mit dem Arabersturm des Frühmittelalters gleichzusetzen, wäre wohl übertrieben. Denn darunter verstehen die Historiker die rasante Expansion der Araber, mit der die Nachfolger Mohammeds im 7. und 8. Jahrhundert von der Arabischen Halbinsel aus den Vorderen Orient, Persien, Afghanistan, weite Teile des heutigen Pakistan, ganz Nordafrika und die Iberische Halbinsel eroberten und damit auch den Islam in diese Gebiete trugen. Von einem zweiten Arabersturm zu sprechen, dürfte aber angemessen sein. Denn der Aufstand gegen die Despoten und Herrscherhäuser wird tiefgreifende langfristige Veränderungen in der arabischen Region zur Folge haben, die derzeit kaum abschätzbar sind.
Für die Finanz- und Rohstoffmärkte stehen kurzfristigere Aspekte im Vordergrund. Von den Turbulenzen im arabischen Raum verunsichert, haben die Marktteilnehmer begonnen, Gewinne an den Aktienmärkten mitzunehmen, was deren rund zwei Jahre alte Rally unterbricht. Gefragt sind sichere Assets wie Gold und der Schweizer Franken, während Staatsanleihen bester Bonität aufgrund erneut gestiegener Inflationsrisiken und der zumindest im Euroraum nun wohl herannahenden Leitzinswende von dieser Krise nicht profitieren.
Schreckensszenarien
Auf dem Spiel steht die Ölversorgung der Weltwirtschaft, wie an dem stark gestiegenen Preis für den wichtigsten Energierohstoff abgelesen werden kann. Mit Libyen wütet der Arabersturm nun in einem erdölfördernden Land. Dem Wüstenstaat droht ein längerer Bürgerkrieg. Die US-Außenministerin Hillary Clinton hat sogar das Schreckensszenario ausgesprochen, dass sich das Land in ein "großes Somalia" verwandeln könnte.
Noch schwerer wiegt allerdings die Befürchtung, dass auch Saudi-Arabien von der Aufstandswelle erfasst werden könnte. Saudi-Arabien ist das Herzstück der weltweiten Ölversorgung. Käme es auch dort zu Unruhen und zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Erdölförderung, würde der Ölpreis explodieren. Für diesen Fall sind schon Ölpreisvorstellungen von 200 Dollar das Barrel genannt worden. Das würde die Aktienmärkte unweigerlich zum Einsturz bringen.
Doch der Eintritt des Worst Case ist keinesfalls eine ausgemachte Sache. Vielmehr sind erhebliche Zweifel angebracht. Die von der US-Außenministerin ausgesprochene Aussicht auf den völligen Zusammenbruch staatlicher Ordnung in Libyen mit der Folge, dass die Ölförderung des Landes auf Jahre hinaus ausfallen würde, ist ein Szenario, das kaum zugelassen werden dürfte. Vielmehr dürften hinter den Kulissen alle Register gezogen werden, um Gaddafi zur Aufgabe zu bewegen oder - falls dies scheitern sollte - eine andere Lösung vorzubereiten, z.B. die wirkungsvolle Unterstützung seiner Gegner. Ähnliches gilt für den befürchteten Aufstand in Saudi-Arabien. Die Bevölkerung ist bei weitem nicht so unzufrieden wie in Ägypten, Algerien, Tunesien oder Libyen. Saudi-Arabien ist ein reiches Land und verfügt damit zudem über immense finanzielle Mittel, um die Bevölkerung zufriedenzustellen.
Positive Faktoren
Vor diesem Hintergrund besteht durchaus auch die Chance, dass sich die Krise in absehbarer Zeit entschärfen und der Ölpreis wieder deutlich sinken wird. Dann würden die Marktteilnehmer die Angst vor einem Ölpreisschock ablegen und die positiven Faktoren für die Aktienmärkte wieder stärker beachten. Dazu zählt insbesondere die gute, nach wie vor die Erwartungen des Marktes übertreffende Entwicklung der Unternehmensgewinne bei gleichzeitig moderater Bewertung. Die Unternehmen verfügen darüber hinaus über immense Finanzmittel und haben bereits begonnen, diese verstärkt für Akquisitionen zu verwenden. Außerdem schwimmen die Märkte in Liquidität, für die Anlagemöglichkeiten gesucht werden. Beruhigt sich die Lage in der arabischen Welt, wird die Liquidität angesichts des Mangels an attraktiven Alternativen wieder ihren Weg an die Aktienmärkte finden. Die Krise Nordafrikas und des Nahen Ostens könnte sich schon recht bald als günstige Einstiegsgelegenheit erweisen.
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