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Börsen-Zeitung: Mehrheit fürs Weiterwursteln, Kommentar zum Bundestagsbeschluss über die Ausweitung des Euro-Rettungsschirms ESFS, von Claus Döring.

Frankfurt (ots)

Mit großer Mehrheit haben sich die deutschen Volksvertreter fürs Weiterwursteln in der Staatsschuldenkrise entschieden. Denn weder der bisherige noch der jetzt vom Bundestag gebilligte Euro-Rettungsschirm EFSF werden die Schuldenkrise beenden. Mit der Erweiterung des finanziellen Spielraums auf 440 Mrd. Euro - ein willkürliches und nicht ökonomisch begründbares Volumen - wird etwas Zeit gewonnen, mehr nicht. Das mag auch für Griechenland gelten, wo der Offenbarungseid vielleicht nicht morgen, sondern erst übermorgen kommt. Dann haben die Märkte noch etwas mehr Zeit, auf Griechenlands Pleite zu spekulieren, und die Banken etwas mehr Zeit, vor der absehbaren Umschuldung ihre Restbestände griechischer Staatsanleihen bei der Europäischen Zentralbank (EZB) und künftig bei der EFSF abzuladen.

Die Sorge mancher Parlamentarier und vieler Bürger in diesem Lande, dass immer weiter im übertragenden Sinne gutes Geld schlechtem Geld hinterhergeworfen wird, ist nicht unbegründet. Schließlich wird bereits über die nächste Erweiterung des Rettungsschirms diskutiert, werden abenteuerliche Hebelkonstruktionen ventiliert, allen Dementis der deutschen Regierung zum Trotz. Es wäre ja nicht das erste Mal, dass auch die amtierende Bundeskanzlerin ihr Geschwätz von gestern nicht mehr interessiert. Angela Merkel mag viel von Stabilitätskultur reden, ihr Wackelkurs in Sachen Rettungsfondserweiterung seit Jahresbeginn und ihr Handeln schüren Zweifel.

Die Erweiterung des Rettungsfonds ist ein zusätzlicher Schritt zur Vergemeinschaftung der Haftung in Euroland und widerspricht damit, wenn nicht den Buchstaben, so doch dem Geist der Maastricht-Verträge und schrammt scharf an den vom Bundesverfassungsgericht eingeschlagenen Pflöcken entlang. Die Politiker der hochverschuldeten Euro-Länder entziehen sich noch stärker der Disziplinierung durch die Finanzmärkte. Die Lenkungsfunktion des Zinses wird ausgerechnet für jene Länder suspendiert, wo sie am nötigsten wäre. Stattdessen hält der Troika-Tourismus von Internationalem Währungsfonds (IWF), EZB und EU-Kommission die Öffentlichkeit in Atem und die Märkte in Unsicherheit.

Dass die EFSF künftig präventiv zur Beruhigung der Märkte Kreditlinien zusagen kann, und nicht nur im Rahmen eines Hilfsprogramms, ist die Einladung an die Regierungen der Eurozone, potenzielle Marktreaktionen auf unsolides Wirtschaften und fehlende Reformen von vornherein außer Acht zu lassen. Damit wird auch der verbesserte Sanktionsmechanismus im soeben vom EU-Parlament verabschiedeten strengeren Stabilitäts- und Wachstumspakt konterkariert. Denn bei wiederholter Regelmissachtung und unsolider Finanzpolitik folgt eben nicht die Sanktion durch den Markt, sondern die Abschirmung durch die EFSF zu sehr vorteilhaften Konditionen. Diese Option ist ein trojanisches Pferd für die Garantiegeberstaaten und eine Gefahr für ihre Bonitätsbewertungen.

Das Weiterwursteln im Management der Staatsschuldenkrise lenkt von der Kernentscheidung ab, vor der die Regierungen in Euroland stehen. Wenn sie den Euro als Gemeinschaftswährung erhalten wollen, müssen sie eine Grundsatzentscheidung treffen. Entweder müssen sie sich rückbesinnen auf die Spielregeln beim Start der Währungsunion und durch institutionelle Reformen dafür sorgen, dass sie eingehalten werden. Dazu gehören das Prinzip der fiskalischen Eigenverantwortung der Staaten, ein weitgehender Haftungsausschluss und die Disziplinierung ihrer Finanzpolitik durch die Finanzmärkte. Oder aber sie müssen weit nach vorne springen in Richtung einer Fiskalunion, bei der finanzpolitische Kompetenzen zumindest teilweise auf die europäische Ebene übertragen werden. Wege dazwischen führen in die Krise, wie die zurückliegenden Jahre bewiesen haben.

Die Vorstellung einer europäischen Fiskalunion und der Gedanke an die Abgabe von Souveränität mag manchen beunruhigen angesichts der Erfahrungen mit Entscheidungen aus dem fernen Brüssel. Schon der Begriff einer europäischen Wirtschaftsregierung hat zumindest in Deutschland die Bürger verschreckt. Deshalb sollte sich die Kompetenzverlagerung auf das absolute Minimum beschränken, beispielsweise auf Obergrenzen für die künftige Kreditaufnahme und auf Eingriffsrechte zur Gewährleistung des Schuldenabbaus. Diese Eingriffsrechte müssten aber so weit gehen, dass die nationalen Ebenen ihre fiskalpolitische Souveränität spätestens dann verlieren, wenn die Defizit- und Verschuldungsgrenzen nicht eingehalten werden. Das Haushaltsrecht der nationalen Parlamente würde unter den Vorbehalt der Zustimmung durch eine zentrale europäische Institution gestellt.

Im Gegenzug könnte und sollte der Subsidiaritätsgedanke stärker beachtet werden. Keineswegs wäre mit einer Fiskalunion zwangsläufig eine Haftungsgemeinschaft oder eine Vereinheitlichung der Steuerpolitik verbunden. Selbst in den Vereinigten Staaten von Amerika gibt es keine Haftung des einen Bundesstaates für den anderen. Wenn Kalifornien das Geld ausgeht, was mit schöner Regelmäßigkeit geschieht, muss es sich selber helfen. Auch in Euroland könnten im Rahmen eines strikten Regelwerks für Verschuldungsobergrenzen also nationale Spielräume zur Haushaltsgestaltung bestehen.

Für einen solchen Sprung nach vorn zur Sicherung des Euro reicht es freilich nicht, Kanzlermehrheiten fürs Weiterwursteln zu organisieren. Man muss die Menschen im Land dafür gewinnen und die Verfassung ändern.

(Börsen-Zeitung, 30.9.2011)

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