Börsen-Zeitung: Ausgeträumt, Kommentar zur untersagten Börsenfusion von Christopher Kalbhenn
Frankfurt (ots)
Einer der bekanntesten griechischen Mythen ist der des Sisyphos, der dazu verdammt war, ewig einen Felsblock einen steilen Berg hinaufzurollen, der kurz vor Erreichen des Ziels entglitt und hinunterrollte, so dass der arme Held wieder von vorn beginnen musste. Seine Leiden dürften für Reto Francioni, den Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Börse, nur zu gut nachvollziehbar sein. Denn nach dem aktuellen Veto der EU-Wettbewerbshüter ist schon wieder ein Versuch des Frankfurter Marktbetreibers, sich mit einem Konkurrenten zusammenzuschließen, gescheitert.
Die Liste der Pleiten der Deutschen Börse ist mittlerweile sehr lang: zwei in den Jahren 2000 und 2005 gescheiterte Versuche, die London Stock Exchange (LSE) an Land zu ziehen, im Jahr 2004 die Ablehnung eines Fusionsvorschlags durch die Schweizer Börse, als deren Verwaltungsratspräsident seinerzeit übrigens Reto Francioni amtierte, die Konsolidierungsgespräche mit der Borsa Italiana sowie die Niederlage gegen die New York Stock Exchange (Nyse) im Ringen um Euronext im Jahr 2006 und nun der geplante Zusammenschluss mit der Nyse Euronext. Zählt man noch das Vorhaben des Jahres 1998, im Rahmen einer Kooperation mit der LSE eine paneuropäische Aktienhandelsplattform zu errichten, und den 2003 beendeten Versuch, gemeinsam mit der Terminbörse Chicago Board of Trade den amerikanischen Derivatemarkt zu erschließen, hinzu, ergeben sich acht gescheiterte Versuche, mit anderen globalen Börsen ins Geschäft zu kommen.
Ressourcen vergeudet
Welch eine Vergeudung von finanziellen und personellen Ressourcen! Ein ganzes Jahr lang waren beim jüngsten Fusionsprojekt große Teile des Managements der Deutschen Börse mit dem Fusionsprojekt beschäftigt bzw. blockiert. Dazu noch der lähmende Effekt, den die unsichere Zukunft auf Teile der Belegschaft hatte. Die Folge dürfte sein, dass große Fusionsprojekte, wenn schon nicht ein für alle mal, so doch zumindest für einen längeren Zeitraum für die Unternehmensleitung tabu sind, weil sie nach dem erneuten Scheitern kaum zu rechtfertigen sein werden. Der Sisyphos-Mythos passt daher nur bedingt. Denn im Falle der Deutschen Börse wird der Felsblock nun möglicherweise für immer am Fuß des Berges liegen bleiben.
Organisches Wachstum wird in den kommenden Jahren wieder im Fokus des Managements stehen, wie gestern angekündigt wurde. Zu den Prioritäten werden dabei die Erschließung der dynamischen Wachstumsmärkte insbesondere in Asien, sowie die Nutzung der Potenziale, die sich aus der Regulierung u.a. des außerbörslichen Derivatemarkts ergeben, zählen. Letzterer soll zentrale Clearing-Stellen, also z.B. Eurex Clearing, nutzen und möglichst auch auf börsliche Handelsplattformen gebracht werden. Ohne Perspektive ist die Deutsche Börse nach dem Scheitern der Fusion also keineswegs. Sie bleibt das wirtschaftlich stärkste und am besten aufgestellte Börsenbetreiberunternehmen weltweit. Mit der Terminbörse Eurex und dem Abwickler und Verwahrer Clearstream verfügt sie über zwei globale Standbeine, und sie hat gute Aussichten, die von den Schwellenländern und der Regulierung ausgehenden Potenziale auszuschöpfen. Nyse Euronext, deren Geschäft nicht so gut diversifiziert ist, hat wesentlich bessere Gründe, der geplatzten Fusion nachzutrauern. Einen Erfolg hat Francioni im Zuge des Fusionsprojekts im Übrigen erzielt: den Erwerb der Eurex-Anteile des Schweizer Börsenbetreibers SIX Group.
Große Herausforderungen
Allerdings steht auch das Management der Deutschen Börse vor großen Herausforderungen. Wie die anderen etablierten Marktbetreiber muss sie den Übergang vom Monopol- zum Wettbewerbszeitalter bewältigen, was im übrigen eines der wichtigsten Motive der geplanten Börsenfusion war. Welche Folgen der Wettbewerb für die etablierten Börsen hat, zeigt der Erfolg der alternativen Aktienhandelsplattformen wie der kürzlich zusammengeschlossenen Chi-X und Bats Trading: sinkende Marktanteile sowie infolge der durch den Wettbewerb erzwungenen Preisnachlässe schrumpfende Margen.
Für die Deutsche Börse ist das zwar weniger schlimm als beispielsweise für die immer noch weitestgehend vom Aktienhandel abhängige LSE. Kritisch würde die Lage jedoch auch für den Frankfurter Marktbetreiber, wenn er eines Tages auch im Derivatehandel einem Wettbewerb wie im Aktiengeschäft ausgesetzt werden sollte. Das würde zwar nicht den Bestand des Unternehmens gefährden - bei Margen von 40% und mehr besteht ein erhebliches Polster. Das Management würde aber bei abbröckelnder Profitabilität unter heftigen Druck seitens seiner Anteilseigner geraten.
Nachdem der Traum von der großen Fusion ausgeträumt ist, wird es nun umso mehr darauf ankommen, eine überzeugende Strategie für das neue Wettbewerbsumfeld zu entwickeln, und die Ressourcen wieder auf das organische Wachstum zu konzentrieren. Vor diesem Hintergrund wird es sehr interessant sein zu verfolgen, mit welchem Engagement sich die Führungsriege der Deutschen Börse nach dem Scheitern des Zusammenschlusses mit der Nyse Euronext dieser Aufgabe widmen wird. Möglicherweise bahnt sich hier in absehbarer Zeit eine weitere Zäsur an. Ab Dezember beginnen die Gespräche über eine weitere Amtszeit Francionis, dessen Vertrag bis Ende 2013 läuft. Der Finanzplatz wird sich bald mit der Frage beschäftigen, ob der 56-jährige Schweizer eine weitere fünfjährige Amtsperiode anstreben wird.
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