Börsen-Zeitung: Politik mit Wachsmalstift, Kommentar zu "Wachstumsinitiativen" der EU-Kommission, von Detlef Fechtner.
Frankfurt (ots)
Vorsicht, die Squaw spricht mit gespaltener Zunge - so heißt die einschlägige Warnung in Cowboyfilmen. Daran fühlt sich oft erinnert, wer die schönfärberischen Erklärungen der EU-Kommission hört. Nie steckt ein EU-Land in Nöten, sondern ist allenfalls "im Fokus der Märkte", nie hat es Probleme, sondern steht nur vor "Herausforderungen". Nie muss es sparen, immer nur "konsolidieren".
Seit Jüngstem gibt es einen neuen Euphemismus: Projektbonds heißen jetzt "Wachstumsanleihen". Dahinter steckt die Idee, Geld aus dem EU-Haushalt an die Europäische Investitionsbank zu überweisen, damit sie etwa beim Bau einer Autobahn die Finanzierung in Risikotranchen schneidet und die ausfallgefährdetsten Stücke in die eigenen Bücher nimmt. Ziel ist, private Investoren zu locken, um den Einsatz zu hebeln. Und in der Tat, das Konzept ist tauglich, mindestens für einige Vorhaben. Ob es indes hält, was der aufschneiderische Name suggeriert, ist fraglich.
Zuletzt hat die EU-Kommission mit solcher Schönrednerei und großspurigen Ansagen über "Wachstumsinitiativen" die Erwartung befeuert, dass gerade ein riesiges Konjunkturprogramm gepackt wird. Jetzt, da sich die Spekulationen überschlagen und dreist ellige Milliardenbeträge herumgeistern, muss die EU-Kommission allerhand zurechtrücken. Mitleid muss man deshalb nicht mit ihr haben. Vielmehr rächt sich endlich einmal die Politik mit dem Wachsmalstift: Hauptsache, es fängt mit Wachs- an und es wird ganz dick aufgetragen.
Bleibt die Frage: Alles also nur große Worte und nichts dahinter? Nein, nicht ganz. Bei aller Rhetorik gibt es politische Bewegungen - aber wie so oft eher kleine Schritte als große Würfe. Man mag in diesem Fall anfügen: erfreulicherweise. Eine jähe Abkehr von Sparzielen und Fiskalpakt, wie es die einen fürchten und die anderen fordern, ist nicht erkennbar - zu groß ist die Angst vor einem erneuten Anstieg der Anleihezinsen. Ein massives, kreditfinanziertes Ankurbelungsprogramm steht ebenfalls nicht zu erwarten - den einen fehlt das Geld, den anderen der Willen dazu.
Allerdings bleiben ja noch jede Menge anderer Maßnahmen, um kurzfristig zu unterstützen und die Rezession abzufedern. Eine Kapitalerhöhung der EU-Investitionsbank, die plötzlich politische Chancen hat. Eine Umwidmung von EU-Strukturhilfen hin zu den Ländern, die es am nötigsten haben, - was ja Sinn solcher Hilfen sein sollte. Und sogar EU-Projektbonds. Man muss sie ja nicht unbedingt Wachstumsanleihen nennen.
(Börsen-Zeitung, 1.5.2012)
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