Börsen-Zeitung: Spielball der Politik, Börsenkommentar "Marktplatz", von Thorsten Kramer.
Frankfurt (ots)
An Europas Aktienmärkten sind nun eiserne Nerven gefragt. Die Verunsicherung der Investoren wächst von Tag zu Tag, und die Volatilität der Kurse ist entsprechend hoch, weil der Handel fast ausschließlich von kurzfristigen, spekulativen Investments dominiert wird. Anleger fürchten den Zusammenbruch der Europäischen Währungsunion, zudem verstärken eine Reihe von enttäuschenden Wirtschaftsdaten aus aller Welt die Zweifel am Erholungskurs der Wirtschaft. Neupositionierungen von langfristig orientierten Akteuren bleiben deshalb die Ausnahme - obwohl die sehr günstige Bewertung der Börsen und die hohen Dividendenzahlungen an die Anteilseigner attraktive Renditechancen versprechen.
Das Geschehen steht im Zeichen der Politik. Nach wie vor ist eine langfristig tragbare Lösung für die Schuldenkrise in der Eurozone aber nicht in Sicht. Dies kratzt nachhaltig am Vertrauen der Investoren. Europas Aktienmärkte geraten dadurch im globalen Vergleich ins Hintertreffen. Auf Sicht von zwölf Monaten drückte die zunehmende Risikoaversion den globalen Benchmark-Index MSCI World um mehr als 9% ins Minus. Europäische Aktien ausgeklammert büßte der Index hingegen lediglich moderate 2,9% ein. Die Schwäche der Börsen droht nun eine zusätzliche Belastung für die europäische Konjunktur zu werden, denn wenn die Depotvermögen der Investoren zusammenschmelzen, dämpft dies beispielsweise die Lust am privaten Konsum.
Finanzhilfen für Spanien zur Unterstützung des Bankensektors können dabei helfen, die Ängste vor Dominoeffekten innerhalb der Eurozone zu verringern. Es ist allerdings zu befürchten, dass auch dies lediglich den kurzfristig ausgerichteten Tradern eine Chance offeriert und die Wirkung ohnehin schnell verpufft, denn mit den Neuwahlen in Griechenland steht schon das nächste enorm bedeutsame Ereignis bevor. Gewinnen am 17.Juni die Parteien, die sich an die Sparzusagen an die europäischen Partner, die Europäische Zentralbank und den Internationalen Währungsfonds gebunden fühlen, besteht sicherlich die Chance zu einer Erholungsrally an den Aktienmärkten. Sollten jedoch die Euro-Skeptiker siegen, dürfte die Angst vor Dominoeffekten schlagartig wachsen. Den Märkten drohte dann eine schwere Belastungsprobe. Je nachdem, wie die Politik und die Notenbanken dann reagieren, ist für diesen Fall selbst ein Einbruch der Notierungen um 50% nicht auszuschließen, wie jüngst etwa die Anlagestrategen der Société Générale in einer Analyse vorrechneten.
Mit Blick auf das Gesamtjahr halten die Anlagestrategen der meisten Banken trotz allem an ihren recht optimistischen Indexprognosen für Europas Märkte fest - allen voran für den deutschen Aktienmarkt, der wegen der im Vergleich sehr stabilen Konjunktur hierzulande den meisten als erste Wahl gilt. Damit die Kurse wieder nachhaltig auf ein höheres Niveau steigen, muss sich allerdings das gesamte Stimmungsbild aufhellen. Der überraschende Zinsschritt der chinesischen Währungshüter vom Donnerstag ist dafür bereits ein erster Mosaikstein, denn er wird dazu führen, dass die Konjunktur in dem stark aufstrebenden Land wieder an Dynamik gewinnt - ein willkommener Impuls für die Weltwirtschaft. Es ist zusätzlich damit zu rechnen, dass die US-Notenbank Federal Reserve und die EZB schon in Kürze per Liquiditätsspritze oder per Zinssenkung ebenfalls dringend benötigte Stimuli für die Konjunktur beschließen werden. Dies darf allerdings nicht dazu führen, dass die Politik weiterwurschtelt, anstatt endlich damit zu beginnen, in internationaler Abstimmung ihre Versäumnisse zu beheben.
Zunächst fokussieren sich Investoren auf den G20-Gipfel am 18. und 19. Juni in Mexiko, um neue Hinweise darauf zu erhalten, ob es wohl in absehbarer Zeit gelingen mag, Antworten auf die drängenden Probleme der Staaten und des Bankensektors zu finden. Ende des Monats richtet sich das Interesse dann auf den nächsten EU-Gipfel. Die Bundesregierung hat es sich zum Ziel gesetzt, dort Arbeitsaufträge für eine tiefere Integration zu erteilen, um im Frühjahr 2013 bereits verbindliche Beschlüsse treffen zu können. Das hört sich vielversprechend an. Es ist jedoch zu befürchten, dass auch nach dem Treffen die Vorstellungen über eine europäische Bankenaufsicht, eine Bankenunion mit gemeinsamem Einlagensicherungsfonds oder eine Fiskalunion mit eng abgestimmter Haushaltspolitik weiterhin sehr kontrovers diskutiert werden, nicht zuletzt, weil es dabei um viel Geld geht. Die Märkte dürften sich deshalb auf absehbare Zeit kaum beruhigen. Sie werden weiterhin Spielball der Politik sein.
(Börsen-Zeitung, 9.6.2012)
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