Börsen-Zeitung: Sekt für alle, Leitartikel zum Jahreswechsel, Von Claus Döring
Frankfurt (ots)
"The same procedure as last year, Miss Sophie?", fragt Butler James im Silvester-Klassiker "Dinner for One", den der Norddeutsche Rundfunk vor 50 Jahren produziert hat und der seither nicht nur in Deutschland jedes Jahr an Silvester Millionen TV-Zuschauer erfreut. Miss Sophies Antwort "The same procedure as every year, James" ist zum geflügelten Wort geworden und der 18-Minuten-Film zur beliebten Persiflage-Vorlage, zum Beispiel mit Bundeskanzlerin Angela Merkel als Miss Sophie und Nicolas Sarkozy oder auch Peer Steinbrück als Butler James. Für die diesjährige Neubesetzung empfiehlt sich EZB-Präsident Mario Draghi in der Rolle des Butlers oder wahlweise - auch um der Gleichbehandlung der Geschlechter zu entsprechen - die künftige US-Notenbankchefin Janet Yellen als Butler und Barack Obama als Miss Sophie. Denn seit Ausbruch der Finanzkrise vor sechs Jahren spendieren die Notenbanken in vorauseilendem Gehorsam jedes Jahr aufs Neue Liquidität ohne Ende und versetzen die Finanzmärkte mit diesem "Sekt für alle" in den Rauschzustand.
Wer's nicht glaubt, möge einmal die Kursentwicklung an den Aktienmärkten seit dem Jahr 2009 mit den Wachstumsraten des Bruttoinlandsprodukts in den USA, in Europa oder auch in Deutschland vergleichen. Beispiel Dax: Trotz Banken- und Finanzkrise kletterte er im Jahr 2009 um 24%, im Jahr 2010 um 16%. Auf den Rücksetzer um 15% im Jahr 2011 infolge der Zuspitzung der Staatsschuldenkrise folgten dank der fortwährend nachschenkenden Notenbanken wieder zwei berauschende Jahre: 2012 ein Plus von 29% und 2013 eines von 26%.
Das dürfte zunächst so weitergehen. Weder die europäische Zentralbank noch die Fed werden ihre ultralockere Geldpolitik beenden, denn das sogenannte Tapering bedeutet ja nur ein etwas geringeres Volumen der Anleiheaufkäufe. Oder um im Bilde zu bleiben: Wer schon so stark Schlagseite hat wie die Fed, deren Bilanzsumme sich seit Ausbruch der Krise auf nunmehr 4 Bill. Dollar vervierfacht hat, kann irgendwann das Glas nicht mehr ganz so vollmachen.
Ihre Verführung zum Komasaufen rechtfertigen die Notenbanken vor allem mit einem Argument: Die Verbraucherpreise seien doch stabil, die Inflationsrate deutlich unterhalb der Zielmarke von 2%. Völlig ausgeblendet wird die von der Liquiditätsflut angetriebene Inflation der Vermögenspreise, die sich nicht nur an den Aktienmärkten niederschlägt. Die Luft, die bei Ausbruch der Krise 2007 und 2008 aus vielen Vermögenspreisen entwich, ist längst wieder hineingepumpt.
Wann die Blase platzt, lässt sich nicht vorhersagen. Gefährlich wird es, wenn traditionelle Mahner umschwenken und am Markt die letzten "Bären" zu "Bullen" mutieren. Die Anzeichen hierfür mehren sich. Nur in Deutschland gebe es eine "perverse Angst" vor der Politik der Zentralbank, beklagte Mario Draghi gerade im Interview. Offensichtlich nimmt der EZB-Präsident Kritik aus Deutschland ähnlich wahr wie Butler James den Kopf jenes ausgelegten Tigerfells, über den er bei seinen liquiditätsspendenden Einsätzen ständig stolpert - bis er ihn bekanntlich mit einem Schlusssprung überwindet. Nichts kann die butlernden Notenbanker dann mehr daran hindern, sich mit einem "Well, I'll do my very best" auf den Lippen mit der Politik ins Bett zu begeben.
(Börsen-Zeitung, 31.12.2013)
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