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Börsen-Zeitung: Der wertlose Euro, Kommentar zur Europäischen Zentralbank von Bernd Wittkowski

Frankfurt (ots)

Was nichts kostet, ist nichts wert. Das wusste schon Albert Einstein, das weiß der Volksmund, und das weiß jeder kluge Kaufmann. Insofern ist der Euro wertlos. Schon länger galt für Einlagen der Banken bei der Europäischen Zentralbank (EZB) der Nulltarif. Nach den jüngsten Beschlüssen des EZB-Rats müssen sie dafür sogar einen Strafzins von 0,1% zahlen. Wann werden die Sparer, die seit Jahr und Tag mit Magerzinsen unterhalb der Teuerungsrate abgespeist und damit real enteignet werden, bei Banken und Sparkassen einen Obolus dafür entrichten müssen, dass sie dort ihr Geld aufbewahren dürfen?

Ganz nebenbei: Dass die SPD ausgerechnet in diesen Wochen angesichts von Null- und Minuszinsen penetrant für die Abschaffung der Abgeltungsteuer wirbt und Kapitalerträge mit dem persönlichen Steuersatz belasten will, ist geradezu drollig. Auf die Idee können nur Kabarettisten kommen. Oder Politclowns.

Bevor nun die ökonomischen Oberlehrer protestieren: Ja, mit dem Euro kann man nach wie vor einkaufen gehen; als Zahlungsmittel ist er bis dato sogar relativ wertstabil. Ja, der Euro dient weiterhin als Recheneinheit und Vergleichsmaßstab für geldwerte Leistungen und Waren. Und ja, der Euro hat einen Außenwert, der im Devisenhandel aus Angebot und Nachfrage ermittelt wird. Aber die andere Funktion des Geldes, jene des Wertaufbewahrungsmittels, ist in Teilen ebenso außer Kraft gesetzt wie die Steuerungsfunktion des Zinses. Das Sparen, der Versuch, den Wert des Geldes über die Zeit zu konservieren, wird unter Strafe gestellt. Was das Preisschild betrifft, ist das eine neue Dimension. Real, unter Berücksichtigung der teuerungsbedingten Geldentwertung, gilt es schon lange und trifft gerade auch die privaten Sparer: Wer spart, der entspart, jedenfalls bei kürzerem Anlagehorizont.

Historisch und hysterisch

Wenn das Aufbewahren von Geld nun auch nominal mit einem negativen Preis belegt wird, ist die Wirkung, zunächst vor allem die psychologische Wirkung, noch mal eine ganz andere. Es ist fürwahr ein historischer Einschnitt mit im Detail noch unabsehbaren, aber potenziell allemal fatalen Folgen für die Sparkultur, die Altersvorsorge und den volkswirtschaftlichen Geldkreislauf. Die Lehrbücher müssen umgeschrieben werden. Man weiß nur noch nicht, nach welchen Erkenntnissen. Zinsen auf "Spar-Geld", heißt es in einer Schrift der Bundesbank, bekomme man als Entschädigung dafür, dass man zeitweise auf die Verfügbarkeit seines Geldes verzichte. So absolut stimmt das nicht mehr, und wer weiß, wie weit die EZB ihr Null- und Negativzinsspiel noch auf die Spitze treiben wird, wenn auch die jüngste Verzweiflungstat ihr Ziel verfehlen sollte?

Wie sehr muss im Frankfurter Eurotower die Panik grassieren, wenn der EZB-Rat nicht nur historisch, sondern auf der Jagd nach dem Deflationsgespenst offenbar auch derart hysterisch handelt? Und wie tief muss Euroland sieben Jahre nach Beginn der Finanz- und Schuldenkrise noch im Schlamassel stecken, wenn die Euro-Hüter sich zu diesen drastischen Maßnahmen entschließen und sich geradezu tollkühn auf geldpolitische Terra incognita vorwagen?

Mach mir den Draghi

Eines haben Mario Draghi und Kollegen erreicht: Kaum hatte am Donnerstag die Pressekonferenz des EZB-Präsidenten begonnen, schoss das deutsche Börsenbarometer Dax erstmals in seiner Geschichte über die Marke von 10000 Punkten. "Mach mir den Draghi", riefen die Aktienhändler - und pumpten die Assetpreisblase weiter auf. Eine anschaulichere Symbolik für die verhängnisvolle Abhängigkeit des ganzen europäischen Wirtschafts- und Kapitalmarktgeschehens von der Geldpolitik kann man sich nicht vorstellen.

Als "Zentralbankverwaltungswirtschaft" hat Michael Klaus, Partner des Bankhauses Metzler, kürzlich dieses System unter Anspielung auf gescheiterte sozialistische und andere Modelle sehr treffend bezeichnet. Dabei springen die Verantwortlichen von einer Eskalationsstufe zur nächsten. Nun zu allem Überfluss noch "zielgerichtete Tender", also an die Kreditvergabepraxis der Banken geknüpfte Geldspritzen und anderes Teufelszeug. Warum finanziert die EZB die Unternehmen nicht gleich direkt? Es fällt doch ohnehin kaum noch auf, dass die Notenbank permanent die Grenzen ihres Mandats testet und sie gelegentlich überschreitet.

Kritiker der Schulden- und Haftungsunion - das mögen durchaus überzeugte Europäer und sogar Befürworter des Euro sein - können sich bestätigt fühlen. Belegen die Ratsbeschlüsse doch einmal mehr die Umverteilung von Gläubigern zu Schuldnern, von Privat zum Staat, von Nord nach Süd. Auf diese Weise spaltet nicht nur die Finanzpolitik, sondern auch die Geldpolitik zunehmend die europäische Gesellschaft. Selbstverständlich sind nicht zuletzt die deutschen Sparer und Lebensversicherungskunden die Gelackmeierten.

Auf die von der EZB erhoffte Wirkung des Maßnahmenbündels wird man indes vergeblich warten. Im Gegenteil: Es wird sich als kontraproduktiv erweisen. Wer sich von der Senkung des Leitzinses für Hauptrefinanzierungsgeschäfte um einen Zehntelpunkt auf 0,15% realwirtschaftliche Impulse verspricht, versteht die Zusammenhänge nicht. Derweil werden die Banken, denen es ja mitnichten an Liquidität mangelt, durch den Negativzins in Kreditrisiken hineingetrieben, die sie nach betriebswirtschaftlichen Kriterien nicht eingehen dürften. Für die Reparaturarbeiten bei Südeuropas Zombiebanken kommt dann später wieder der Steuerzahler auf. Und den Regierungen kauft die EZB wieder einmal Zeit, wie es so schön heißt - Zeit, um die überfälligen Wirtschaftsreformen und Haushaltskonsolidierungen noch weiter zu verschleppen. Es ist einfach abartig.

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