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Börsen-Zeitung: Zittern auf hohem Niveau, Marktkommentar von Christopher Kalbhenn

Frankfurt (ots)

Das ungute Gefühl, mit dem die Marktteilnehmer ins Wochenende gegangen sind, ist nur zu einem geringen Teil auf die Ereignisse an den Börsen zurückzuführen. Weit stärker wog am Freitag das Entsetzen über das Flugzeugunglück im Osten der Ukraine. Die Tragödie verstärkte allerdings zuletzt die Belastungen, die von den geopolitischen Krisenherden ausgingen. Sie ereignete sich vor dem Hintergrund der neuen Sanktionen gegen Russland, die an den Aktienmärkten bereits auf die Stimmung geschlagen hatten. Hinzu kommt die immer brenzligere Entwicklung im Nahen Osten.

So schlimm diese Konflikte für die unmittelbar Betroffenen auch sind, sind sie aus Sicht der Marktteilnehmer letztlich "nur" ein Verstärker eines ohnehin vorhandenen Unwohlseins. Grund des Unbehagens sind die Auswirkungen der globalen Geldpolitik, der Niedrigzinsen und der Liquiditätsschwemme, durch die sich Blasen gebildet haben oder im Entstehen begriffen sind, und Blasen haben nun einmal die unangenehme Eigenschaft, irgendwann zu platzen. Kurzum: Die Angst geht um, dass es zum großen Knall kommen könnte.

Markt außer Kraft gesetzt

Besonders augenfällig ist die Außerkraftsetzung des Markts derzeit bei den Peripherieanleihen. Im Wissen um die vermeintliche Vollkaskogarantie der Europäischen Zentralbank wird im Peripherieanleihemarkt alles gekauft, was noch etwas mehr Rendite im Vergleich zum Bundesmagerzins bringt. Auch wenn Spaniens Reformschritte Anerkennung verdienen, bleibt es dabei, dass die Probleme bei weitem nicht gelöst sind. Die Verschuldung steigt weiter und steht kurz davor, die 1-Bill.-Euro-Marke zu knacken. Dass das Land seine Anleihen dennoch zu günstigeren Konditionen auf den Markt bringen kann als die US-Treasury, wird man wohl kaum als normal oder etwa marktgerecht bezeichnen können. Das Gleiche gilt für die "sparbuchreifen" Zinsen, die derzeit mit Hochzinsanleihen noch erzielt werden können, von den nur kümmerlichen Renditen im Investment-Grade-Bereich ganz zu schweigen. Hinzu kommen völlig abgehobene Preise in Teilen der Immobilienmärkte.

Auch die Tatsache, dass Top-Staatsanleihen völlig überbewertet sind und Renditen bieten, die man in einer schweren Weltwirtschaftskrise vermuten würde, und gleichzeitig die Aktienmärkte auf Bewertungsniveaus vorstoßen, die auf einen robusten Konjunkturaufschwung hindeuten, wird man wohl kaum als normal bezeichnen können. Der Widerspruch muss sich früher oder später auflösen. Beunruhigt sind Teile des Marktes auch wegen der sehr geringen Volatilität, auch wenn sie sich durch die jüngsten Ereignisse spürbar erhöht hat. In der Vergangenheit haben sich an Phasen extrem niedriger Volatilität recht häufig heftige Marktturbulenzen angeschlossen.

Brisant ist die Situation aber vor allem dadurch, dass sich das Marktumfeld durch den Exit der Notenbanken aus den außerordentlichen Stützungsmaßnahmen bzw. der Leitzinswende grundlegend verändern wird. So werden spürbar höhere US-Staatsanleihe- oder Bundesanleiherenditen die gesamte Bewertungsarithmetik der Finanzmärkte ins Wanken bringen. Assets wie Real Estate Investment Trusts, Schwellenländeranleihen oder Peripheriebonds werden an relativer Attraktivität einbüßen, wenn die sichereren und vor allem liquideren Treasuries wieder akzeptable Renditen abwerfen. Es ist überhaupt nicht einschätzbar, ob dies in geordneten Bahnen verlaufen wird; die Erfahrungen des zurückliegenden Jahres, der Kursrutsch der Emerging Markets, weist eher auf Risiken für die Marktstabilität hin. Auch den Notenbanken ist bewusst, dass ihre ultralockere Geldpolitik während der Krise zwar den Crash abgewendet hat, dass sich dafür aber nun neue Risiken etwa in Form massiver Überpositionierung der Marktteilnehmer in risikoreicheren und gleichzeitig wenig liquiden Assets auftürmen, die bei steigenden kurz- und langfristigen Zinsen zu Turbulenzen führen könnten.

Sehr deutlich kam die Nervosität kürzlich etwa im Protokoll der Zinssitzung des Offenmarktausschusses der US-Zentralbank zum Ausdruck. Teilnehmer hätten die Frage diskutiert, ob jüngste Trends an den Finanzmärkten darauf hindeuten, dass die Investoren bei ihren Anlageentscheidungen die Risiken nicht in angemessener Weise beachten. Einige Gremienmitglieder sähen insbesondere in der niedrigen impliziten Volatilität an den Aktien-, Währungs- und einigen Anleihemärkten sowie in Zeichen zunehmender Risikoaufnahme einen Hinweis darauf, dass Marktteilnehmer Unsicherheit über die Entwicklung der Wirtschaft und der Geldpolitik (!) nicht hinreichend einkalkulieren.

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