Börsen-Zeitung: Hoch ist nicht zu hoch, Marktkommentar von Stefan Schaaf
Frankfurt (ots)
Die Euphorie am deutschen Aktienmarkt ist für das Erste verflogen. An die Stelle eines steilen Kursanstieges wie seit Jahresbeginn ist in den vergangenen Tagen eine maue Seitwärtsbewegung getreten. Dies dürfte weniger mit der neuen Griechenland-Nervosität zu tun haben als vielmehr mit der gestiegenen Bewertung deutscher Standardwerte. Denn der Dax hat mit seinem rasanten Kursanstieg seit Jahresbeginn die Bewertungslücke zum weit vorausgeeilten US-Aktienmarkt um rund die Hälfte verringert. Gemessen am historischen Durchschnitt des Kurs-Gewinn-Verhältnisses (KGV) ist der deutsche Leitindex sogar schon überbewertet.
Dennoch: Am vergangenen Dienstag reichte es für den Dax noch einmal zu einem Rekordhoch. Doch als dieser die 10984,69 Stellen erreichte und allgemein der Sprung über die 11000-Punkte-Marke erwartet wurde, endete die seit Jahresbeginn anhaltende Rally zunächst einmal. Zur Erinnerung: Seit Anfang Januar hat der Dax bereits gut 10% an Wert gewonnen und damit alle wichtigen europäischen Aktienindizes hinter sich gelassen, während zugleich die US-Märkte stagnierten. Für den globalen Aktienleitindex S&P500 steht im laufenden Jahr ein mickriges Plus von 0,5% zu Buche. Die Dax-Rally hatte Mitte Oktober vergangenen Jahres eingesetzt, als die Marktteilnehmer erkannten, dass Rezessionssorgen für Deutschland überzogen waren. Zudem begann die zu erwartende quantitative Lockerung der Europäischen Zentralbank (EZB) und die damit verbundene zusätzliche Liquidität die europäischen Aktienmärkte anzuschieben. Billiges Öl und ein schwacher Euro taten ein Übriges. Diese beiden Faktoren liefen zuletzt aus. Der Ölpreis stieg jüngst wieder an, der Euro-Kurs pendelte sich zwischen 1,13 und 1,15 Dollar ein.
KGV legt deutlich zu
Mit dem Anstieg des Dax erhöhte sich auch dessen Bewertung. Berechnungen der Commerzbank zufolge liegt derzeit das nach vorn gerichtete KGV im Dax bei 13,7. Dies bedeutet, dass der Index mit dem 13,7-Fachen der erwarteten Unternehmensgewinne bewertet wird. Mitte Oktober lag dieser Indikator nur bei 10,9. Im zuletzt ebenfalls starken Nebenwerte-Index MDax liegt das erwartete KGV sogar bei 17,6, im EuroStoxx50 sind es 14,6. Zum Vergleich: Der als heiß gelaufen geltende S&P500 kommt auf einen Wert von 16,5.
Noch Luft nach oben
Europa scheint damit im Vergleich zu US-Aktienmärkten noch Luft für die Bewertung nach oben zu haben. Allerdings nicht im historischen Vergleich. Laut den Commerzbank-Daten sind die Aktienmärkte dies- und jenseits des Atlantiks bereits überbewertet. Sollte das KGV auf den Durchschnitt der vergangenen zehn Jahre zurückkehren, müsste dieser Indikator im Dax wie auch im S&P500 um 16% fallen. Kein Wunder also, dass die Rally zum Stehen gekommen ist. Die deutlichste Überbewertung der sechs von der Commerzbank betrachteten Indizes haben nach diesem Kriterium die beiden europäischen Indizes EuroStoxx50 und Stoxx600, deren KGV um 23% fallen müsste, um auf den historischen Schnitt zurückzukehren. "Die relativ hohen KGV sind der Hauptgrund, warum wir erwarten, dass sich die weltweiten Aktienindizes in den kommenden Monaten seitwärts bewegen dürften", schreibt Commerzbank-Aktienexperte Andreas Hürkamp.
Allerdings unterstellt dieses Szenario konstante Unternehmensgewinne. Verdienen die Firmen nämlich wieder mehr, so sinkt das KGV im Gegenzug. Gleiches gilt, solange die Kurse weniger stark als die Gewinne steigen. Damit korrigiert sich die Bewertung, ohne dass Anleger unter fallenden Kursen leiden.
Chance auf Normalisierung
Die Zeichen dafür stehen nicht schlecht. Jüngste Konjunkturdaten aus Europa deuten auf eine Aufhellung hin. Insbesondere Italien scheint nach den jüngsten Arbeitsmarktreformen Fahrt aufzunehmen. Zudem stellt sich die Frage, zumindest aus Sicht der Optimisten, ob in einer Zeit einer quantitativen Lockerung die historischen Bewertungsmaßstäbe noch gelten. Wenn auch die Euphorie weg ist, so scheinen weiter steigende Dax-Notierungen trotz hoher Bewertungen möglich.
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