Börsen-Zeitung: Nachlassende Dynamik, Marktkommentar von Dieter Kuckelkorn
Frankfurt (ots)
Was für ein Quartal: Der gerade abgelaufene Dreimonatszeitraum ist für den Dax der beste seit zwölf Jahren gewesen. Der deutsche Leitindex verzeichnete ein enormes Plus von rund 23% und ließ damit die meisten anderen europäischen Indizes und auch die Wall Street weit hinter sich. Zu verdanken hat das der Markt in erster Linie der Europäischen Zentralbank (EZB), die mit ihrem Bondkaufprogramm zwar erneut kaum die Realwirtschaft, aber dafür umso stärker die Finanzmärkte beflügelt. Der Aktienmarkt hat sich somit weitgehend von der Realwirtschaft abgekoppelt. Dies ist freilich ein Zustand, der auf Dauer nicht haltbar ist.
Was das neue Quartal betrifft, so dürfte der EZB-Effekt eine weniger prominente Rolle spielen, da er nach Ansicht vieler Beobachter im Kursniveau bereits weitgehend eingepreist ist. Dementsprechend rechnen viele Analysten mit Stagnation der Kurse: So sehen etwa die Aktienstrategen von 19 Instituten, die am ZEW-Prognosetest teilnehmen, den Dax per Ende Juni im Durchschnitt bei gerade einmal 11818 Punkten. Und selbst die besonders optimistischen Häuser glauben nicht, dass der Dax auf Sicht von sechs Monaten die nächste Tausendermarke von 13000 Zählern erreichen wird.
Banken zu pessimistisch
Allerdings zeigt der Rückblick, dass die am ZEW-Prognosetest teilnehmenden Häuser bislang zu pessimistisch waren. Sie hatten den EZB-Effekt deutlich unterschätzt und Ende Dezember prognostiziert, dass der Dax per Ende März dieses Jahres bei lediglich 9953 Punkten stehen würde.
Aktuell wird somit der EZB-Effekt wiederum die große Unbekannte sein. Ob die Marktpsychologie weiterhin von der Notenbank getragen wird und in welchem Umfang die von der EZB bereitgestellte Liquidität den Weg in den Aktienmarkt findet, lässt sich derzeit nur schwer voraussagen.
Zur Beantwortung der Frage, ob die Rally weitergeht, ist auch zu berücksichtigen, dass Investoren aus Übersee ein wichtiger Faktor am europäischen und deutschen Aktienmarkt sind. An der Wall Street hat die Kursentwicklung zuletzt stagniert, so dass Europa aus Sicht vieler US-Anleger sehr attraktiv geworden ist - wozu auch der schwache Euro beigetragen hat. Da sich der Niedergang der Gemeinschaftswährung zuletzt stark verlangsamt hat, müssen US-Investoren auch längst nicht mehr so stark fürchten, dass ihre Engagements auf dieser Seite des Atlantiks durch die Währungsverschiebungen rasant an Wert verlieren. Das Interesse am deutschen Aktienmarkt aus den USA wird also hoch bleiben, zumal die Perspektive der Zinsanhebungen durch die Fed auf dem US-Aktienmarkt lastet. Dem Interesse an Dividendentiteln förderlich ist zudem die Tatsache, dass die Renditen von Anleihen immer kleiner werden, weshalb Anleger um Aktien kaum noch herumkommen.
Es gibt aber - neben dem EZB-Effekt - noch eine weitere große Unbekannte: die Konjunkturentwicklung in der Eurozone und ihre Translation in Unternehmensgewinne. Dabei sieht es nicht mehr so schlecht aus wie noch vor ein paar Monaten. Wie die Ökonomen der Essener National-Bank anmerken, haben die Indikatoren aus dem Euroraum in den vergangenen Wochen regelmäßig überrascht. "Es sieht ganz danach aus, als ob die Konjunktur hierzulande den Tiefpunkt hinter sich gelassen hat", meinen sie.
Allerdings erscheinen die Gewinnschätzungen und damit die Bewertungen am europäischen und deutschen Aktienmarkt ambitioniert. Die Erwartungen der Analysten sind zuletzt, wohl um den rasanten Anstieg des Kursniveaus zu rechtfertigen, noch weiter angehoben worden. Auch wenn der schwache Euro die Gewinne der exportorientierten Unternehmen weiter stärkt: Es ist nicht zu erwarten, dass die Unternehmen in den kommenden beiden Quartalen in der Lage sind, die bereits sehr optimistischen Analysten hinsichtlich der Ertragslage positiv zu überraschen - was eine wesentliche Voraussetzung für die Fortsetzung der Rally wäre. Die Dynamik am Aktienmarkt wird daher deutlich nachlassen.
Grexit rückt näher
Bleibt noch ein Unsicherheitsfaktor: der immer näher rückende Grexit. Er könnte den Aktienmarkt zumindest kurzfristig unter Druck setzen, auch wenn die Finanzmärkte genügend Zeit hatten, sich auf das Ereignis vorzubereiten. Die Auswirkungen dürften sich - abgesehen von kurzfristig möglicherweise ausgeprägteren Kursschwankungen-wegen der weitgehenden Übertragung der Griechenland-Risiken der privaten Banken auf die öffentlichen Haushalte aber wohl in Grenzen halten.
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