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Börsen-Zeitung: Kamikazeflug, Kommentar zum Bahnstreik von Ulli Gericke

Frankfurt (ots)

Man muss nicht alles glauben, was interessierte Verbände einem weiß machen wollen. "Alles in allem drohen Streikkosten von einer halben Milliarde Euro", klagt Eric Schweitzer, Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertags - wohl wissend, dass es der Bahn bislang noch immer gelungen war, die wichtigsten Transporte für die Chemie-, Stahl und Autoindustrie durchzuführen, damit es zu keinen Produktionsausfällen kommt.

Dennoch alarmiert der gestern von der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) begonnene längste Streik in der Bahn-Geschichte Politik und Tarifparteien. Nicht nur Bundeskanzlerin Angela Merkel plädiert für eine Schlichtung - was umso bemerkenswerter ist, da sie sich ansonsten bei Fragen der Tarifautonomie äußerst zurückhält. Auch die GDL-Dachorganisation, der Deutsche Beamtenbund, der die Streiks der Lokführer finanziert, hat wie die Bahn eine Schlichtung ins Gespräch gebracht.

Das kratzt jedoch GDL-Chef Claus Weselsky (noch?) wenig: "Wir werden in keine Schlichtung gehen, weil wir grundgesetzlich geschützte Rechte in keine Schlichtung bringen", tönte er gestern und beharrt darauf, nicht nur für Lokführer, sondern auch für Zugpersonal und Rangierführer unabhängig Tarifverträge abschließen zu dürfen. Bei letzteren Berufsgruppen ist die Mehrheit der Beschäftigten bei der größeren Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft organisiert. Hier - und nur hier - würde das neue Tarifeinheitsgesetz Spuren hinterlassen, wenn wie geplant, die jeweilige Mehrheitsgewerkschaft bei den einzelnen Berufsgruppen das Sagen bekommen soll. Das wäre bei den Lokführern auch künftig die GDL. Und auch die Pilotenvereinigung Cockpit wird unstrittig weiterhin als kleine Spartengewerkschaft mit großem Erpressungspotenzial ihre Einzelinteressen durchsetzen können.

Faktisch geht es um die Frage, ob die GDL ein Land zum inzwischen achten Mal in großen Teilen lahmlegen darf, nur um ihre Klientel auszuweiten - während die Bahn stellvertretend für die gesamte Wirtschaft auf einheitlichen Tarifverträgen für einzelne Berufsgruppen beharrt. Kein Zweifel, die GDL darf so agieren, ist doch die Tarifautonomie grundgesetzlich gesichert - weder ein Gesetz, noch eine Regierung könnten eingreifen. Ob dieser kompromisslose Egoismus aber weiterführt oder sich zum selbstmörderischen Kamikazeflug entwickelt, entscheidet der öffentliche Protest. Nur wenn dieser zu stark wird, stoppt der Beamtenbund seine Streikgelder und lassen die Zugführer ihre Führung alleine im Regen stehen.

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