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Börsen-Zeitung: Freie Fahrt für Prozykliker, Kommentar zum Aktienmarkt von Dietegen Müller

Frankfurt (ots)

Im Jahr 1703 fragte der Baseler Mathematiker Jakob Bernoulli den deutschen Philosophen Gottfried Wilhelm Leibniz, warum die Wahrscheinlichkeit kalkulierbar ist, mit der sich mit zwei Würfeln eine Sieben statt einer Acht würfeln lasse, aber nicht prognostizierbar sei, inwieweit ein Zwanzigjähriger einen Sechzigjährigen überlebe. Bernoulli schlug gleich eine Lösung vor: Eine genügend große Anzahl Fälle erlaube es, die Wahrscheinlichkeit für die Überlebensrate auszurechnen. Leibniz konterte: Die Natur gebe zwar Muster für wiederkehrende Ereignisse vor, aber nur für den größten Teil, nicht für alle. Diese Unsicherheit, wie der Rest ausgehen könnte, ist das Risiko. Vorsichtige Investoren wissen trotz ausgeklügelter Risikomodelle, dass sie nichts wissen. Im Einzelfall ist alles anders, siehe oben und siehe Griechenland.

Warum steigen jetzt Anleihe- und Aktienkurse, wenn eine tragfähige Lösung für Griechenland doch gar nicht in Sicht ist? Aber wer maßt sich schon an, zu wissen, wie es mit Griechenland weitergehen wird? So bleibt die Mainstream-Auffassung, dass gemessen an Wirtschaftskraft und Vernetzungsgrad die hellenische Republik relativ unbedeutend ist. Den Takt geben vielmehr weiter die Notenbanken an - und ihre geldpolitischen Nuancen. Langfristige Auswirkungen der schrägen griechischen Tragödie für die Währungsunion wird es sicher geben. Bloß ist unklar, welche es sein werden.

Wer jetzt investieren muss, interessiert sich für solche philosophischen Betrachtungen nicht. Nehmen wir einen durchschnittlichen deutschen Versicherer. Er sitzt auf einem Berg festverzinslicher Papiere, richtig - dort, wo viele die größte Bubble und das nächste Liquiditätsproblem vermuten. Ringsum sieht er nun wieder haussierende Kurse. Was wird er tun? Es lässt sich eine Wahrscheinlichkeit für Investitionsentscheide formen. Der bequemste Weg - er bedeutet ja immerhin eine Art Diversifikation - wird sein, die niedrige Aktienquote langsam hochzufahren.

Es zählen Argumente wie diese: Anleihen werden zu riskant, werfen kaum Rendite ab. Ohne Schocks wie ein Default dürften gerade relativ gesehen günstige europäische Aktien von der anziehenden Konjunktur profitieren. Was spricht da schon gegen Blue Chips wie Deutsche Post, BASF oder Siemens, die für ein vorausschauendes Kurs-Gewinn-Verhältnis von unter 15 zu haben sind - weit unter den Dax-Bewertungen der Neunziger Jahren oder jener des S&P 500? Ob der Kauf risikoträchtig ist, wird sich erst weisen. Prozyklisch ist er sicher. Und herdenhafte Risikoaversion schafft neue Risiken.

Pressekontakt:

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www.boersen-zeitung.de

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