Börsen-Zeitung: Wer kann lockerer? Kommentar zur EZB von Mark Schrörs
Frankfurt (ots)
Man könnte argumentieren, dass EZB-Präsident Mario Draghi gestern sehr viel Selbstverständliches geäußert hat: dass bei der nächsten Sitzung geprüft werden muss, ob die Geldpolitik noch angemessen ist; oder dass die Experten intern das Für und Wider weiterer Maßnahmen prüfen sollen. Alles in allem aber hat Draghi sich in Sachen weitere geldpolitische Lockerung - und zwar schon im Dezember - nun selbst derart unter Zugzwang gesetzt, dass es kaum vorstellbar erscheint, wie er da ohne Gesichtsverlust wieder herauskommen könnte - wenn er denn überhaupt wollte.
Verstehen muss man das nicht - und gutheißen erst recht nicht. Die Euro-Wirtschaft präsentiert sich bis dato widerstandsfähig. Die Situation in vielen Schwellenländern, allen voran China, hat sich gegenüber Sommer stabilisiert, genau wie die Lage an den Finanzmärkten. In den nächsten Monaten dürfte auch die Inflation anziehen. Für Aktionismus besteht also kein Grund - zumal dem zweifelhaften Nutzen etwa von noch mehr Wertpapierkäufen enorme Risiken gegenüberstehen.
Das EZB-Gebaren erscheint umso zweifelhafter, wenn man zweierlei berücksichtigt: Führende EZB-Vertreter selbst argumentieren, dass das Anleihekaufprogramm (Quantitative Easing, QE) erst zu einem Drittel umgesetzt ist und Geldpolitik oft erst mit langer Zeitverzögerung wirkt. Warum bricht sich jetzt schon wieder solche Nervosität Bahn? Zudem räumen sie selbst ein, dass ihre Maßnahmen nur voll wirken, wenn die Politik Strukturreformen umsetzt. Genau diesen Anreiz mindert die EZB aber, wenn sie wieder voreilig in die Bresche springt. Die EZB darf sich da nicht wundern, wenn sich viele Kritiker darin bestätigt fühlen, dass es ihr gar nicht so sehr um Wachstum und Inflation gehe, sondern darum, den Finanzministern hoch verschuldeter Euro-Staaten zu Hilfe zu kommen.
Bedenklich ist auch, wenn nun plötzlich wieder im Raum steht, den Einlagesatz noch weiter unter null zu drücken. Das kratzt nicht nur an Draghis Glaubwürdigkeit. Viel entscheidender ist, dass die befürchteten Risiken für das Funktionieren des Geldmarkts und des Bankensystems doch nicht obsolet sind.
Sicher macht das Zaudern der US-Fed bei der Zinswende den Job der EZB schwerer - weil das den Euro stützt. Aber er liegt immer noch weit unter den Niveaus von Mitte 2014. Zudem hat die EZB stets gepredigt, keine Wechselkurspolitik zu betreiben. Wenn sich EZB und Fed nun gegenseitig immer weiter hineinsteigern in einen Wettbewerb nach dem Motto "Wer kann (geldpolitisch) lockerer?", gibt es am Ende ganz sicher nur Verlierer.
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