Börsen-Zeitung: Ende der Sorglosigkeit, Marktkommentar von Dietegen Müller
Frankfurt (ots)
Die martialischen Drohgebärden von Donald und Kim, zweier völlig unberechenbarer politischer Figuren mit nuklearem Potenzial, haben die Finanzmärkte lange kaltgelassen. Seit einigen Tagen scheint sich dies zu ändern. Am Freitag setzte der US-Präsident gegen seinen nordkoreanischen Widersacher noch einen Verbalschlag drauf: Die militärischen Optionen gegen Nordkorea seien nun "locked and loaded" - schussbereit und geladen, twitterte Trump.
Mitten in der Urlaubssaison - mit entsprechend geringerer Liquidität im Markt - haben die Investoren nun begonnen, höhere Risiken einzupreisen. Nicht nur, dass der Dax zeitweise unter die Marke von 12000 gerutscht ist und damit auf den niedrigsten Stand seit März. Er hatte sich auch bedrohlich dem 200-Tage-Durchschnitt genähert, ein Indikator, der bei vielen Marktakteuren Beachtung findet. Wird dieser nach unten durchbrochen, droht womöglich ein größerer Kursrutsch.
Auch an anderen Indikatoren lässt sich ablesen, dass die Nervosität steigt. Sogenannte "Angstbarometer" wie Volatilitätsindizes oder die Risikoaufschläge von Hochzinsanleihen zeigen nach oben. Der VDax New stieg am Freitag auf über 20 Punkte. An den Devisenmärkten zeigte sich eine Flucht in Sicherheit. So wertete der Yen in der vergangenen Woche auf - paradoxerweise, obwohl Japan ja nahe der koreanischen Halbinsel liegt. Auch rutschte der Euro zum Schweizer Franken am Freitag zeitweise wieder unter 1,13. Der südkoreanische Won verlor seit der Akzentuierung der Spannungen vor rund zwei Wochen rund 3% zum Dollar; der Kospi, der Leitindex des südkoreanischen Aktienmarkts, sank von seinem vor zwei Wochen erreichten Allzeithoch um gut 5%.
Keine Eskalation in Sicht
Die Größe dieser Zitterbewegungen ist aber gering. Der VDax New liegt noch unter seinem historischen Mittel. Der US-Markt hat gemessen am Dow Jones Industrial erst am vergangenen Montag noch einen Rekordstand erreicht und seither kaum korrigiert. Die Märkte erwarten also keine militärische Eskalation des Nordkorea-Konflikts. Es ist zu wünschen, dass sie damit richtigliegen. Voraussagen kann dies niemand.
Angesichts der stolzen Bewertung vieler Märkte ist eine Korrektur nur gesund und auch längst überfällig. Wenn sich Marktteilnehmer auf Kursrückschläge einstellen und sich vermehrt absichern, ist dies vernünftig. Das Ende der Sorglosigkeit ist ein stabilisierendes Element. Dass die Sorglosigkeit zuletzt grassiert hat, zeigen nicht nur niedrige Volatilitätsniveaus oder die niedrigen Leerverkaufsquoten im deutschen Markt, die schon Anfang Juni Turbulenzen signalisiert haben (vgl. BZ vom 1. Juni). Wenn kaum Leerverkäufe getätigt werden, ist dies ein Indiz, dass Risiken nicht effizient eingepreist werden.
Und Risiken gibt es genügend. Es stellt sich mit Blick auf den Herbst ja auch die Frage, wie rasch - oder langsam - die US-Notenbank ihre geldpolitische Straffung weiterverfolgt und wann die Europäische Zentralbank den Zeitplan für die Rückführung ihres Anleihekaufprogramms ankündigt. Denn momentan gibt es zinsseitig kaum Belastungen für die Aktienmärkte. Die steigende Risikoaversion hat bereits wieder zu rückläufigen Anleiherenditen geführt, und der starke Euro spricht eher dagegen, dass die EZB ihre Geldpolitik zügig strafft.
Auch zahme Inflationszahlen in Europa wie in den USA lassen keine rasche Zinserhöhung erkennen, und der Ölpreis gerät schon wieder ins Rutschen. Solange nicht politische Eskalationen die Stimmung in der Realwirtschaft eintrüben, dürfte ein anhaltendes Gewinnwachstum sich bei gleichbleibender - hoher - Bewertung tendenziell in steigenden Kursen zeigen.
Erfahrungsgemäß sind August bis Oktober an den Börsen aber eher schwierige Monate. Die DZ Bank meint denn auch: "Die Zeit für Gewinnmitnahmen am Aktienmarkt ist günstig." Denn die Industrieländermärkte - bis auf den EuroStoxx 50 - seien teuer, und die Berichtssaison in den USA habe ein sehr gutes Ende gefunden. Will sagen: Während die Risiken nicht kleiner werden, ist das Potenzial für erfreuliche Überraschungen derzeit eher gering - denn die Unternehmen müssen erst wieder liefern. Auch eine überraschende Inflationsdynamik könnte die Bewertungen unter Druck setzen. Nur sieht es danach nicht aus. Sollten also geopolitische Krisen nicht eskalieren, spricht dies in Summe zwar eher für weiter leicht steigende Kurse. Die hohe Bewertung lässt sich aber nur mit niedrigen Anleiherenditen rechtfertigen. Alle wissen, dass ein Rückschlag droht, sobald das Gewinnwachstum abflaut oder die Zinsen doch steigen. Bloß danach gehandelt hat noch kaum einer. Darum wird die Korrektur dann heftig sein.
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