Börsen-Zeitung: Zu viel Kreativität
Kommentar zur Unternehmensberichterstattung von Dietegen Müller
Frankfurt (ots)
Neue Abkürzungen in der Unternehmensberichterstattung lassen aufhorchen. Auch wenn am Ende des Regenbogens ein Topf steht, der mit Goldmünzen gefüllt ist - nicht alles ist Gold, was glänzt. Das genannte Symbolbild ist - was für ein Zufall - der Einstieg auf die Investorenseite des US-Glücksspiel- und Lotterieanbieters Scientific Games. Seit einigen Jahren berichtet das an der Nasdaq gelistete Unternehmen, das über 3 Mrd. Dollar im Jahr umsetzt, aber Verluste schreibt, ein Aebitda. Aebitda? Auch deutschen Investoren dürfte das Wort inzwischen geläufig sein. Der Online-Mahlzeitenlieferant Hellofresh berichtet Fortschritte im operativen Geschäft ebenfalls in Form des Aebitda. Dies steht für Adjusted Ebitda - bereinigtes Ebidta - oder Attributable Ebitda.
Scientific Games versteht Aebitda als Ergebnis vor Zinsen, Steuern, Abschreibungen und Goodwill-Amortisationen, aber bereinigt um sogenannte außerordentliche oder periodenfremde Faktoren wie Restrukturierungskosten, Kosten für Rechtsberatung, Goodwill-Impairments, Änderungen in der Fair-Value-Bewertung, Zinsaufwendungen, Steuerrückstellungen, aktienbasierte Vergütungsprogramme und Verluste oder Gewinne aus Finanzierungstransaktionen.
Wie Scientific Games hat auch der Kochboxenlieferant Hellofresh ein relativ weitgehendes Verständnis des Aebitda - Kosten für Aktienprogramme, für die Kapitalaufnahme oder Rechtsberatung werden hier explizit ausgeklammert. Hellofresh benutzt diese nicht generell akzeptierte Rechnungslegungskennziffer in der Kommunikation mit Anlegern - so sollen auf Ebene des Aebitda im Verlauf von 2019 schwarze Zahlen geschrieben werden. Kein Einzelfall: Ein bereinigtes Ebitda legen in Deutschland beispielsweise auch der IT-Anbieter Allgeier oder die Beteiligungsgesellschaft Ringmetall vor.
Die Absicht in der Verwendung des Aebitda in der Kommunikation ist klar. Das operative Ergebnis soll besser aussehen. Für die Kursentwicklung muss das nicht schlecht sein - aber dass nun auch hierzulande neue Formen von "Bereinigungen" auftauchen, sollte Anlegern zu denken geben. Anders als die Unternehmen, die sie verwenden, argumentieren, bringen Bereinigungen meist nicht mehr Transparenz, sondern weniger: Sie eröffnen Interpretationsspielraum und erscheinen mitunter willkürlich. Restrukturierungen oder Kapitalmaßnahmen sind doch Teil des normalen Geschäfts, oder etwa nicht?
Kreative Finanzkennzahlen sind ein Warnsignal. Per se sind sie zwar keine Aussage über die Qualität des zugrunde liegenden Geschäftsmodells. Die kann durchaus in Ordnung sein. Die Verwendung bereinigter Kennziffern ist aber auch ein Zeichen: Seht her, wir können so berichten und finden auch noch Investoren dafür.
Dazu hat auch die lange sehr üppige Liquiditätsversorgung der Finanzmärkte durch die Notenbanken beigetragen. Doch die Zeiten ändern sich. Die Liquidität wird gedrosselt, und die Wachstums- und damit die Gewinnperspektiven waren, allgemein gesprochen, auch schon einmal besser. In diesem Umfeld werden langsam überreizte Bewertungen oder Konditionen sichtbar.
Das Drehen an operativen Ergebnissen kommt dabei nicht nur im Eigenkapitalsegment vor, sondern besonders ausgeprägt etwa im Fremdkapitalmarkt, wie dem rasant gewachsenen Leveraged-Loan-Bereich. Die Ratingagentur Moody's hat nun festgestellt, dass in den USA bei Leveraged Loans die Kreditklauseln inzwischen viel schwächer sind als vor der Finanzkrise 2007/08.
Zu den Top Ten der Möglichkeiten, mit denen Investoren ihren Anlageschutz aufgeben, zählen laut Moody's "aggressive Ebitda-Add-backs", also der Einsatz schöngerechneter Ebitda. Add-backs sind Rückrechnungen von Kosten, die etwa nach einer Übernahme wegfallen sollen. In den Kreditklauseln sind laut Moody's inzwischen Add-backs von bis zu 20% bis 30% des Ebitda oder mehr möglich. Add-backs werden über längere Zeiträume - typischerweise über zwei Jahre - angerechnet.
Eine andere Möglichkeit, Kreditgeber kurzzuhalten, ist der Transfer von Sicherheiten an Untergesellschaften - Collateral Stripping. Auch die Aufnahme von weiteren Schulden über einen "Seitenwagen" (Sidecar) und noch dazu gleichrangig (pari passu) ist im Markt schon lange gebräuchlich.
Diese Konstruktionen sind nicht so einfach zu analysieren wie die derzeit an den Märkten hochgespielten Themen Brexit und Italien, könnten aber mindestens so weitreichende Folgen für die weitere Kursentwicklung von Vermögenswerten haben
(Börsen-Zeitung, 17.11.2018)
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