Weizenmarkt in der Krise, ein Marktkommentar von Dieter Kuckelkorn
Frankfurt (ots)
Der Preis von Weizen, dem wohl wichtigsten Grundnahrungsmittel der Welt, ist stark gestiegen. Auf Sicht von einem Jahr hat sich das Getreide um sage und schreibe 74 Prozent verteuert. Ein solcher Preisanstieg dürfte in weiten Teilen der Welt Hunger auslösen, die Situation lässt sich also als dramatisch beschreiben. Regierungen in West und Ost äußern sich voller Besorgnis und versprechen, alles Mögliche zu unternehmen, um die weltweite Lebensmittelkrise zu entschärfen.
Dazu ist es allerdings erst einmal notwendig, die fundamentalen Gegebenheiten und damit die Ursachen für den massiven Preisanstieg zu analysieren. Häufig wird die These vertreten, die Krise sei eine direkte Folge des Ukraine-Kriegs. Eine solche wegen der zeitlichen Koinzidenz auf den ersten Blick naheliegende These lässt sich jedoch nur schwer mit den Fakten in Übereinstimmung bringen. So erwartet die Landwirtschaftsorganisation FAO der Vereinten Nationen, dass die Weizenernte in der Ukraine kriegsbedingt um im Vergleich zum Vorjahr 38 Prozent oder 12,2 Millionen Tonnen zurückgeht. Dies macht allerdings gerade 1,6 Prozent der weltweiten Weizenproduktion von geschätzten 770,8 Millionen Tonnen aus. Da in anderen Teilen der Welt aktuell mehr Weizen angebaut wird, geht die Weltproduktion gemäß der FAO-Schätzung auch nur um 0,7 Prozent zurück.
Der für die ukrainische Landwirtschaft zweifellos traumatische Rückgang fällt somit weltweit kaum ins Gewicht, selbst wenn man berücksichtigt, dass es auch um bereits im vergangenen Jahr geerntete ukrainische Weizenmengen geht, die sich noch im Kriegsgebiet befinden und auf die Ausfuhr warten. Es wird geschätzt, dass 30 bis 35 Millionen Tonnen Getreide - also nicht nur Weizen - von der Ukraine exportiert werden könnten. Wer für die Blockade der Exporte die Verantwortung trägt, darüber gibt es unterschiedliche Darstellungen. Die ukrainische und die russische Regierung schieben sich gegenseitig die Schuld zu.
Die westlichen Bemühungen zur Beendigung der weltweiten Weizenkrise konzentrieren sich derzeit darauf, den eingelagerten Weizen aus der Ukraine herauszubekommen. Dazu will die Nato zahlreiche Kriegsschiffe ins Schwarze Meer entsenden, die Geleitschutz für die Transporte fahren sollen - was die Türkei bislang ablehnt, da Ankara eine Ausweitung des Ukraine-Kriegs auf die Nato-Länder befürchtet. Am Markt gehen Spekulationen um, ein Hauptgrund für den von den EU-Regierungen verfolgten Lösungsansatz sei, dass der in der Ukraine gelagerte Weizen möglicherweise längst an europäische Agrarhändler und EU-Kunden verkauft und von diesen bezahlt worden ist.
Sieht man sich die Entwicklung des Weizenpreises an, so fällt auf, dass der Anstieg bereits 2017 begann, von einem Niveau von 4 Dollar je Scheffel bis auf 8 Dollar kurz vor dem Ausbruch des Kriegs. Der folgende Preissprung bis auf fast 12 Dollar ist zum einen das Ergebnis einer spekulativen Übertreibung, was daran abzulesen ist, dass schon die - recht vagen - Hinweise auf einen Erfolg der von der Türkei moderierten Verhandlungen über den Export des ukrainischen Getreides den Weizenpreis bereits wieder unter die Marke von 10 Dollar gedrückt haben. Zum anderen sind die westlichen Sanktionen für den Preissprung verantwortlich, die den Transport russischen und weißrussischen Weizens und über die Finanzsanktionen die Bezahlung für viele Länder unmöglich machen. Allein Russland steuert 2022 rund 11 Prozent zur weltweiten Weizenmenge bei, etwa doppelt so viel wie die USA. Nicht unterschätzt werden sollte auch die starke Verteuerung von Düngemitteln durch die Sanktionen gegen die dominierenden russischen und weißrussischen Düngemittelproduzenten sowie dass die Düngerproduktion unter den explodierenden Gaspreisen leidet.
Daraus folgt, dass eine signifikante Entschärfung der Lebensmittelkrise erst dann möglich ist, wenn der Ukraine-Krieg beendet und damit der Weg für einen schrittweisen Ausstieg aus den Sanktionen frei wird.
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