Börsen-Zeitung: Ein klarer Kauf - Kommentar von Bernd Wittkowski
Frankfurt (ots)
Packungsbeilagen von Medikamenten, so rät der Hausarzt, sollte man besser nicht lesen. Denn angesichts der aufgelisteten möglichen Risiken und Nebenwirkungen kann es einem Patienten in vielen Fällen erst richtig schlecht werden. So ähnlich verhält es sich mit den Risikofaktoren, die in Verkaufsprospekten von Wertpapieremittenten genannt werden müssen: nichts für Zartbesaitete. Die Postbank ist Marktrisiken ausgesetzt, die von ihr gezahlte Vergütung für die Nutzung der Postfilialen könnte eine unerlaubte staatliche Beihilfe darstellen, die Bundesrepublik größter Kreditnehmer des an die Börse strebenden Instituts könnte Pleite gehen und so weiter. Fehlt nur noch der Hinweis, dass der Rhein bei Bonn über die Ufer treten und die ganze Postbank wegschwemmen könnte. Wen solche Ängste umtreiben, der sollte die Finger nicht nur von der Postbank-Aktie, sondern von allen Kursschwankungen ausgesetzten Wertpapieren lassen. Es kann einfach zu viel passieren. Für solche Zeitgenossen ist ein ordentlich verzinstes Tagesgeldkonto eine sinnvolle Alternative, die ruhig schlafen lässt.
Wer aber der Anlage in Dividendentiteln nicht von Natur aus abgeneigt ist, für den sollte die Postbank-Aktie grundsätzlich ein klarer Kauf sein. Aus heutiger Sicht zwar eher (noch) nicht zum Preis von 36,50 Euro, dem oberen Ende der bei 31,50 Euro beginnenden Spanne, wohl aber in deren unterem Drittel. Das gilt für Institutionelle wie für Private. Was heißt schon, die Spanne sei überraschend hoch oder unangemessen? Das mag aus Sicht derjenigen so sein, die in den letzten Tagen nach dem Motto Der Gewinn liegt im Einkauf den Preis herunterreden wollten. Bei fundamentaler Betrachtung hingegen erscheint eine Bewertung der Postbank mit minimal knapp 5,2 Mrd. Euro nicht überzogen und sollte langfristig orientierten Anlegern auch im Vergleich zu alternativen Investments Spielraum für Kurssteigerungen lassen. Ein Multiple von 1,05 bis 1,22 auf den für 2005 unterstellten Buchwert riecht nicht nach ungerechtfertigter Bereicherung seitens des Verkäufers, wenn man bedenkt, dass etliche Mitglieder der europäischen Vergleichsgruppe der Postbank bei allerdings zumindest teilweise günstigeren Ertragskennzahlen bei 2 und höher liegen. Die Spanne zeugt von Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein des Verkäufers und der Emittentin eines Selbstvertrauens und Selbstbewusstseins, das aber durch das Geschäftsmodell, die Marktstellung, das Wachstumspotenzial und den Track Record der Postbank unterlegt ist.
Auf eine solche Equity Story wartet der Markt in der Tat. Deshalb: Wenn dieser Börsengang nicht geht, dann geht für lange Zeit gar nichts mehr am deutschen IPO-Markt.
(Börsen-Zeitung, 8.6.2004)
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