Börsen-Zeitung: Geradeaus und nach oben, Kommentar von Christian Burckhardt
Frankfurt (ots)
Gerät die Europäische Zentralbank (EZB) unter Zugzwang, wenn ihre amerikanische Schwester, die Federal Reserve (Fed), am Mittwoch den Leitzins anhebt und ihren im Januar 2001 gestarteten Abwärtszyklus damit beendet? Im Prinzip nein bzw. nicht sofort. Im Jahre 2001 ließ sich die EZB bis Mai also vier Monate Zeit, bis sie der Fed mit einem ersten Schritt nach unten folgte. Der Zinsabstieg endete für beide Notenbanken synchron im Juni 2003 auf Tiefstständen von 1% und 2%, die es in den USA und Europa zuletzt vor etwa 50 Jahren gegeben hatte. Und bei der Zinswende 1999/2000 sprangen die Euro-Notenbanker etwa fünf Monate nach den Fed-Kollegen auf den Zinszug nach oben.
Es scheint, zeitlich versetzt und natürlich mit Tempodifferenz, einen Zinsgleichlauf dies- und jenseits des Atlantiks zu geben. Ihn als Grundmuster zu fixieren wäre voreilig. Aber zu bedenken ist: In den vergangenen Jahren zeigte sich immer wieder, wie eng die Finanzmärkte miteinander verwoben sind und wie ähnlich sie sich trotz Abweichungen im Trend entwickeln.
Aktuell liefert zwar die Inflationsanalyse (Strategie) der EZB anhand monetärer und wirtschaftlicher Daten kaum überzeugende Gründe für eine Zinserhöhung. Doch bis Jahresende wird die EZB ihre Inflationsprojektion noch zweimal überprüfen, und es ist wahrscheinlich, dass sich bis dahin der Ausblick auf die Konjunktur über 2005 hinaus verbessern und der auf die Teuerung verschlechtern wird. Je mehr sich der im Weltvergleich mäßige Euroland-Aufschwung festigt, desto größer wird die Sorge der EZB über das Inflationspotenzial, das in dem seit Mitte 2001 aufgebauten enormen Überschuss an Liquidität steckt.
Auch wenn der Inflationsdruck im Euroraum noch nicht groß ist und weiter durch den globalisierten Wettbewerb begrenzt werden dürfte, eines kann Notenbanker nicht ruhig schlafen lassen: die brisante Kombination aus historischem Zinstief, expansiver Fiskalpolitik und außergewöhnlich hoher globaler Überschussliquidität im Umfeld einer boomenden Weltwirtschaft bei steigenden Energie- und Rohstoffpreisen. Dies ist der Nährboden für Vermögenspreisblasen, andere Fehllenkungen von Kapital, Marktturbulenzen und Bankkrisen.
Das Mindeste, was um Glaubwürdigkeit bemühte, stabilitätsorientierte Geldpolitiker jetzt tun müssen, ist: sachte aus dem Zinstal heraussteuern oder im Falle der EZB die Wende langsam vorbereiten. Die Märkte warten schon darauf. Der Rat der EZB sollte deshalb morgen sein Banner Wir sind in alle Richtungen völlig offen endlich in die Klamottenkiste packen. Zinspolitisch kann es jetzt höchstens noch in zwei Richtungen gehen: geradeaus und nach oben.
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