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Börsen-Zeitung: Mit Witwen und Waisen, Kommentar zur dritten Enel-Privatisierungstranche von Walther Becker

Frankfurt (ots)

Er lebt doch, der Aktien-Primärmarkt. Rom ist es
gelungen, bei der dritten Privatisierungstranche für Enel gleich
mehrere Rekorde zu schlagen. 7,5 Mrd. Euro sind für 20% an dem
Versorger bei dieser weltweit voluminösesten Aktienemission des
Jahres eingesammelt worden. Das entspricht annähernd dem fünffachen
Betrag, der für den – weitaus schlagzeilenträchtigeren – Börsengang
von Google in New York im Sommer zustande gekommen ist. Dabei hätte
bei der größten Transaktion dieser Art seit 2000 noch mehr in die
öffentlichen Kassen schwappen können. Der Appetit der Anleger war
groß, die Transaktion dreifach überzeichnet. So fiel der Abschlag zum
Kurs vor der Preisfestsetzung (6,66) mit 2 Cent minimal aus. Ja, es
gelang, auf der Spitze der Spanne zu platzieren. Mit diesem
Schwergewicht hängt der europäische erstmals seit vier Jahren den
US-Aktienmarkt ab.
Für Italien, das die Staatsverschuldung – die das
Bruttoinlandsprodukt (BIP) übersteigt – abbauen will, ist es ein
positiver Auftakt des Privatisierungsprogramms und mehr als ein
Tropfen auf den heißen Stein. Die 7,6 Mrd. Euro machen immerhin 0,6%
des BIP aus.
Enel ist im Volumen Spitze, steht aber nicht alleine da. Beispiele
gefällig? EdF gibt Total-Aktien (2,6 Mrd. Euro) ab; Kuwait platziert
Aventis-Titel (2,2 Mrd. Euro); BSCH verkauft ein Paket an Royal Bank
of Scotland (2Mrd. Euro). Staatsanteile von France Télécom (5,1 Mrd.
Euro), Deutscher Telekom (4 Mrd. Euro) und holländischer Post (1,1
Mrd. Euro) kommen auf den Markt. Die Fälle zeigen: Trotz Abflüssen
aus Fonds liegen Mittel für Engagements bereit. Die Investoren stehen
auf bekannte Namen mit Erfolgsgeschichte, IPO-Kandidaten haben es
schwer. Europaweit ist ein Emissionsvolumen von über 100 Mrd. – in
Dollar – 2004 schon im Sack. Es sollte auch in Euro drin sein.
Während sich Investmentbanken an Blocktrades, wo sie es
ausschließlich mit Institutionellen zu tun haben, die Finger
verbrennen, zahlen sich traditionelle Platzierungen aus. 100 Mill.
Euro Vergütung bei Enel, das ist ein Wort. Was machten Mediobanca,
Merrill Lynch, Goldman Sachs und Morgan Stanley in diesem Fall
besser? Die Antwort ist simpel: Sie setzten auf Privatanleger.
Schlussendlich gingen 40% des Volumens an Retail. Der Anteil wurde
während der Transaktion glatt verdoppelt. Sicher, eine attraktive
Dividendenrendite von künftig 10% – damit wird Enel im Euro Stoxx50
weit, weit vorn liegen – vereinfacht die Ansprache der Kleinanleger.
Doch das ist es nicht. Auf Retail ist mehr Verlass, als manche Banker
glauben. Witwen und Waisen ist mindestens ebenso zu vertrauen wie den
Profis. So kommt mehr Leben in den Aktien-Primärmarkt.
(Börsen-Zeitung, 26.10.2004)
ots-Originaltext: Börsen-Zeitung

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