Börsen-Zeitung: Was wesentlich ist, Kommentar von Heidi Rohde zum Beginn des Prozesses von Kleinaktionären gegen die Deutsche Telekom
Frankfurt (ots)
In einem Prozess, der mit rund 2200 Verfahren, 15000 Klägern, über 760 Anwälten und raumfüllenden Aktenbergen alle bisher bekannten Dimensionen sprengt, erscheint die Konzentration auf Wesentliches als oberstes Gebot. Allein, am ersten Verfahrenstag für zunächst zehn Prospekthaftungsklagen gegen die Deutsche Telekom taten sich die Beteiligten mit dieser Aufgabe schwer.
Im Licht der nackten Zahlen ist das Wesentliche offenbar nicht zu finden. Der plakative Vorwurf der Falschbilanzierung insbesondere im Hinblick auf die umstrittene Bewertung des Immobilienvermögens der Telekom und des Kapitalanlagebetrugs verliert zusehends an Gewicht, wenn man sich die geringen Auswirkungen etwa der Immobilienkorrektur auf das Zahlenwerk des Konzerns vor Augen führt: 1% bei der Bilanzsumme, 3% beim Eigenkapital, 6% bei dem Bilanzposten selbst. Ob die Kenntnis von derlei Wertveränderungen die Anlageentscheidung eines T-Aktionärs beeinflusst hätte, ist wohl eher fraglich.
Eher unwesentlich erscheint auch der geschätzte Streitwert von rund 100 Mill. Euro, für die Telekom ohnehin eine Randnotiz. Er steht im krassen Missverhältnis zu den drohenden prozessualen Kosten, die möglicherweise durch neue, aufwendige Immobiliengutachten und ein jahrelanges Verfahren in die Höhe getrieben werden. Da ist die Überlegung des Richters, demnächst das kommende Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz anzuwenden, begründet.
Für eine Mustergültigkeit des Telekom-Verfahrens sprechen jedoch auch andere Gründe die wesentlich sind. Das Gericht hat die Methode des Bonner Konzerns in der zentralen Frage der Immobilienbewertung als nicht gesetzeskonform eingestuft und ist damit einem wesentlichen Vorwurf der Kläger gefolgt. Das Gericht hat im Hinblick auf die Prospekthaftung klar gemacht, dass es nicht nur die Emittentin, sondern auch den Bund und die KfW als Veranlasser der Aktienplatzierung sowie die Deutsche Bank als Konsortialführerin in der Verantwortung sieht.
Noch ist die Kammer weit davon entfernt, sich ein Urteil zu bilden, ob die unkorrekte Methode tatsächlich zu einer ebenso unkorrekten Immobilienbewertung geführt hat und ob dies gegebenenfalls einen wesentlichen Mangel des Prospekts darstellt. Für den deutschen Kapitalmarkt ist es allerdings wesentlich, wenn eines der größten hier notierten Unternehmen sich inkorrekte Bilanzierungsmethoden vorhalten lassen muss. Der illustre Kreis der weiteren Verantwortlichen verleiht jedem eventuellen Fehlverhalten ein nochmals höheres Gewicht. Auch deshalb wird die Entscheidung des Gerichts letztlich Signalcharakter haben.
(Börsen-Zeitung, 24.11.2004)
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