Börsen-Zeitung: Der entmündigte Aktionär, Kommentar von Claus Döring zur Anlegerschutzgesetzgebung der Bundesregierung
Frankfurt (ots)
Eine sichere Strategie zur Desinformation ist die Überinformation. Mit welch verhängnisvollen Folgen diese Strategie auf dem Aktienmarkt eingesetzt werden kann, hat vor Jahren der Neue Markt mit seiner Flut von Ad-hoc-Mitteilungen gezeigt. Und wieder droht Überinformation: diesmal nicht vom Aktienmarketing der Emittenten, sondern von deren Rechtsabteilungen. Die Bestimmungen zur Ad-hoc- Mitteilungspflicht im neuen Anlegerschutzgesetz verändern das Publizitätsverhalten der Unternehmen grundlegend, wie die laufende Bilanzsaison belegt. Lieber zehnmal zu viel als einmal zu wenig, scheint die Devise zu sein, nach der Unternehmen aus Angst vor juristischen Konsequenzen ihre scheinbar oder wirklich börsenkursrelevanten Informationen an die Öffentlichkeit geben.
Das Veröffentlichen eines Finanzkalenders, wie es der Corporate Governance Kodex zur frühzeitigen Orientierung der Anleger vorschreibt, wird zur Farce, wenn die Quartalszahlen nicht zum angekündigten Termin, sondern in Fragmenten schon vorher mitgeteilt werden. Wer Informationen in Häppchen verabreicht, erschwert die Bewertung im Gesamtzusammenhang.
Ereignisse, die die Finanz- und Ertragslage des Unternehmens entscheidend verändern, müssen vom Vorstand mit dem Aufsichtsrat besprochen und entschieden werden. So sehen es Aktiengesetz und Corporate Governance Kodex vor. De facto werden diese Bestimmungen ausgehebelt, weil der Vorstand solch gravierende Ereignisse jetzt zuerst mit der Rechtsabteilung bespricht und anschließend ad hoc die Öffentlichkeit informiert.
Der Aufsichtsrat, dessen Beratungs- und Kontrollfunktion gerade durch den Corporate Governance Kodex gestärkt werden sollte, wird durch die Hintertür entmachtet (vgl. Bericht Seite 6). Denn ohne Schaden für die Gesellschaft, ihre Börsenbewertung und damit für den Aktionär kann ein Aufsichtsrat bereits publizierte Ereignisse nicht mehr korrigieren seien es vorläufige Zahlen, Dividendenvorschlag oder Investitionsvorhaben.
Die Anlegerschutzgesetzgebung der Bundesregierung erweist sich in Teilen als Mogelpackung. Im Mittelpunkt des Anlegerschutzes sollten der Einfluss des Aktionärs und die Einbindung des Aufsichtsrates stehen und weniger die Frage des späteren Schadenersatzes und seiner Durchsetzung auf dem Rechtsweg.
(Börsen-Zeitung, 22.2.2005)
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