Börsen-Zeitung: Politik-Rituale, Kommentar von Angela Wefers zur wirtschaftspolitischen Strategie der Bundesregierung
Frankfurt (ots)
Ihr Ritual zur Agenda 2010 pflegt die Regierung auch in diesem Jahr. In gebührendem Abstand zur Regierungserklärung des Bundeskanzlers schüren seine Medienberater Erwartungen bei Bürgern und Wirtschaft. Nicht von ungefähr antwortete der Regierungssprecher am Vormittag auf Fragen noch ausweichend, ob es Maßnahmen für zusätzliche Wachstumsimpulse geben werde, bevor er am Nachmittag ein Redemanuskript des Kanzlers für die Messe CeBIT veröffentlichen ließ, das eine entsprechende Passage enthielt, die Gerhard Schröder am Ende beim gesprochenen Wort aber (zufällig?) aussparte. So gelang es, die allgemeine Verwirrung zu vergrößern wie auch die Spannung auf den Jobgipfel am kommenden Donnerstag zu erhöhen.
Die Strategie, die suggeriert, die Regierung habe das Heft des Handelns in der Hand, könnte sich nach zwei Jahren des Erfolgs dieses Mal als Reinfall erweisen. Rot-Grün steht seit Veröffentlichung der Arbeitslosenzahl von mehr als 5 Millionen stärker als bisher unter Druck. Die noch unübersehbaren finanziellen Folgen aus der Reorganisation der Bundesanstalt für Arbeit sind nicht das einzige Risiko im Bundeshaushalt. Die Höhe des Bundesbankgewinns oder der noch unsichere Verkauf von Pensionsforderungen der Postunternehmen gehören auch dazu. Der Bundesfinanzminister will nach dreimaliger Verfehlung des Defizitkriteriums zwar 2005 wieder unter die Maastricht-Grenze kommen, scheint aber angesichts seiner vorsorglichen Aktivitäten zur Lockerung des europäischen Stabilitätspakts vom Gelingen dieses Vorhabens selbst nicht überzeugt zu sein.
Schröder steckt zudem in einer terminlichen Klemme. Am nächsten Donnerstagmorgen will er Positionen der Regierung festlegen und am Abend erst die Spitzen der Union treffen, um Möglichkeiten der Zusammenarbeit auszuloten. Die Basis von SPD und Grünen will weder Steuererleichterungen noch Lockerungen des Regelwerks am Arbeitsmarkt, wie sie Bankenverbandspräsident Rolf-E. Breuer jetzt eingefordert hat und damit die Linie des Bundesverbands der Deutschen Industrie wie auch des Arbeitgeberverbands stärkt. Über den Widerstand seiner Basis wird sich der Kanzler ebenso wenig hinwegsetzen, wie aus den Unionsländern mit Widerstand gegen Steuerausfälle zu rechnen ist. Am Ende wird es nur darum gehen, welche Seite mit geringeren Blessuren den Versuch einer konzertierten Aktion überlebt.
(Börsen-Zeitung, 11.3.2005)
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