Börsen-Zeitung: Big ist wieder beautiful, Leitartikel von Kerstin Leitel zu den jüngsten Kursentwicklungen bei den Small- und Midcaps im Vergleich zu den Blue Chip-Aktien
Frankfurt (ots)
Lange Zeit haben die Small und Mid Caps den Blue Chips mit deutlich höheren Kursgewinnen die Show gestohlen. Seit etwa fünf Jahren haben die Börsenzwerge die Großen abgehängt: Während der Dax ab Januar 2000 gut 30% zurückfiel, zogen die Titel aus dem MDax um knapp 60% an; der SDax erzielte einen Zuwachs von 34%. Doch nun scheint sich das Blatt zu wenden. Big ist an der Börse wieder beautiful. Zwar hängen die Titel aus der zweiten und dritten Reihe mit einem Plus von 23 bzw. 24% seit Jahresbeginn den Dax, der sich um knapp 14% steigerte, nach wie vor ab, der Vorsprung der Kleinen schmilzt jedoch zusehends. Seit Beginn der zweiten Jahreshälfte liegen die Titel aus MDax und SDax so 4,4 bzw. 2,5% vorne, während der Dax ein Plus von 5,3% aufweist.
Nicht nur in Deutschland setzen die Börsenriesen zur Aufholjagd an. Auch in Großbritannien, wo der FTSE SmallCap lange den großen Bruder FTSE100 in den Schatten gestellt hatte, ziehen die Blue Chips nach. Und in den USA liegt der Russel2000 nur noch leicht vor den Standardwerten aus der ersten Reihe. Selbst in Australien und in Emerging Markets wie Indien beklagen Marktbeobachter, dass die Nebenwerte ihre steile Aufwärtsbewegung nicht mehr in demselben Tempo fortsetzen. Einige Analysten sprechen daher sogar schon von der Rache der Large Caps.
Die Entwicklung des Dax und seiner kleinen Brüder ist also nicht auf deutschlandspezifische Gründe zurückzuführen. Vielmehr waren die Small und Mid Caps weltweit lange Zeit deutlich unterbewertet. Das hat sich mittlerweile aber bei vielen Nebenwerten geändert vor allem in Relation zu den Blue Chips. So liegt das durchschnittliche Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) auf Basis der Schätzungen für 2005 im MDax bei 15,5. Die Dax-Titel allerdings liegen mit einem KGV von 13,5 sogar darunter und haben damit fast Schnäppchencharakter. Die Dividendenrendite liegt bei den Aktien der ersten Reihe bei 2,4%, während die Aktien der zweiten und dritten Reihe einen niedrigeren Wert von 1,7 bzw. 1,6 aufweisen.
Zudem greift der schwache Euro den großen europäischen Exportwerten unter die Arme, wohingegen viele der im MDax und SDax notierten Unternehmen aufgrund ihrer oft starken Ausrichtung auf den heimischen Markt nicht in gleichem Maße wie die Großkonzerne von den Verschiebungen am Devisenmarkt profitieren. Auch die Hoffnung auf gute Geschäfte in Asien spielt am Aktienmarkt nach wie vor eine Rolle ein Punkt, der ebenfalls an Siemens & Co. geht. Ein Regierungswechsel in Deutschland könnte zwar grundsätzlich sowohl Unternehmen mit einer hohen sowie einer geringeren Marktkapitalisierung zugute kommen. Doch zurzeit profitierten vor allem die Dax-Werte davon, denn ausländische Marktteilnehmer, die durch die Erwartung zügiger Reformen wieder verstärkt Appetit auf deutsche Aktien bekommen, richten ihren Blick vor allem auf die Standardwerte. Denn durch die niedrige Marktkapitalisierung ist für einen ausländischen Anleger, vor allem für Institutionelle, eine Investition in kleine Werte oft riskant. Viele Titel in der zweiten oder dritten Reihe sind einfach zu illiquide.
Summa summarum überwiegen für den Anleger offenbar die Vorteile der sichereren Blue Chips, die meist eine niedrigere Volatilität aufweisen. Damit machen die Standardwerte zwar üblicherweise keine so großen Kurssprünge wie ihre kleinen Brüder, im Gegenzug aber drohen ihnen ebenso selten deutliche Kursstürze. So hat beispielsweise der im Jahresverlauf beste MDax-Wert Pfleiderer seit Januar um üppige 106% zugelegt, während es der Spitzenreiter im Dax, die Deutsche Börse, nur auf einen Zuwachs von 57% brachte. Im SDax kletterte Vivacon sogar um 140%. Doch auf der anderen Seite brach das ehemalige MDax-Mitglied WCM um 60% ein, während Altana, der Verlierer unter den Aktien der ersten Reihe, ein doch vergleichsweise moderates Minus von 7,8% aufweist. Die Anleger scheinen diese Solidität der Standardwerte momentan wieder zu honorieren.
Allerdings haben die Nebenwerte nach wie vor ein Ass im Ärmel: den Kurstreiber Übernahmefantasie. Denn mit ihrer niedrigen Marktkapitalisierung sind die Unternehmen sehr viel leichter verdaulich als ihre Pendants im Blue-Chip-Bereich, und entsprechende Gerüchte, die sich zurzeit beispielsweise um KarstadtQuelle, BHW und die DAB Bank ranken, dürften nicht versiegen. Jedoch hat die Übernahme der HypoVereinsbank durch Unicredit gezeigt, dass auch größere Brocken durchaus geschluckt werden können, wenngleich das eher die Ausnahme bleiben dürfte.
Somit dürfte klar sein, dass die Blue Chips die Nebenwerte wieder in die zweite und dritte Reihe verweisen werden. Einzelne Small und Mid Caps aber werden mit überdurchschnittlichen Kursgewinnen weiterhin die Börsenriesen in den Schatten stellen doch werden sie in der Masse der anderen Nebenwerte schwerer zu finden sein.
(Börsen-Zeitung, 22.7.2005)
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