Börsen-Zeitung: Stahlpreis vor Menge, Kommentar von Brunfrid Rudnick zu den Quartalsergebnissen von ThyssenKrupp
Frankfurt (ots)
Das Szenario des Stahlmarktes wird seit Wochen nur von negativen Vorzeichen geprägt. Die Absatzmengen sinken, die Importe steigen, die Läger sind randvoll, und die Preise purzeln. Dagegen haben die Erzpreise einen exorbitanten Sprung um mehr als 70% vollzogen. Die von ThyssenKrupp und Salzgitter vorgelegten Zahlen und Prognosen sprechen (noch) eine ganz andere Sprache. ThyssenKrupp hat im zweiten Kalenderquartal das Stahlergebnis um gut 15% ausgebaut und hat die Ergebnisprognose 2005 deutlich angehoben. Salzgitter hat im Halbjahr so viel verdient wie im ganzen Vorjahr und will das Vorjahresergebnis annähernd verdoppeln.
Angesichts der schlechten Nachrichten vom Markt wurden die Analysten diesmal auf dem falschen Fuß erwischt. Sie haben die Ergebnisse heftig unterschätzt, und auch die Prognose eines neuen Rekordwertes für das Jahresergebnis bei ThyssenKrupp ist eine handfeste Überraschung. Der Übergang von der Boomphase zu einer Verschlechterung der Marktverfassung vollzieht sich zwar innerhalb weniger Wochen. Doch die Ergebnisse der Stahlunternehmen reagieren so schnell nicht. Die auf dem weltweiten Spotmarkt registrierten Einbrüche treffen die Hersteller zunächst nur am Rande, denn die bis in das zweite Quartal 2005 kräftig aufgebesserten Preise für Langfristkontrakte gelten nach wie vor. Das hat zur Folge, dass zwar die Absatzmengen rückläufig sind. Das Erlösniveau steigt gleichwohl weiter an. Das funktioniert deshalb so gut, weil die europäischen Stahlhersteller auf die Nachfrageschwäche spontan mit Kürzungen der Produktion reagieren. Arcelor, ThyssenKrupp und Salzgitter alle haben nach der Strategie Preis vor Menge entschlossen gebremst, um Angebot und Nachfrage rasch ins Gleichgewicht zu bringen.
Gleichwohl ist die heiße Phase der Stahlkonjunktur beendet. Der Boom der Vorquartale wird eine Zeit lang Nachlaufeffekte haben, doch seine Kraft wird allmählich versiegen. Für das Quartalsgeschäft bei ThyssenKrupp konnten zum 1. April nur noch vereinzelt Preiserhöhungen durchgesetzt werden, und der reale Stahlverbrauch wird kaum noch wachsen. Die Unternehmenszahlen werden im nächsten oder übernächsten Quartal entsprechend reagieren, denn auch die höheren Erzpreise sind noch nicht voll verdaut.
(Börsen-Zeitung, 13.8.2005)
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