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Börsen-Zeitung: VW stellt sich der Realität, Kommentar von Gottfried Mehner

Frankfurt (ots)

Die ungeschminkte Wahrheit wollte VW-Chef Bernd
Pischetsrieder seinen Beschäftigten noch nicht zumuten: „Einige
tausend“ Mitarbeiter habe man zu viel an Bord. Bei einer Auslastung
des größten Werkes Wolfsburg von unter 70% lassen sich aber
überschlägig bereits 15000 Beschäftigte abgreifen. Würden zudem statt
der den Arbeitsmangel verwaltenden 28,8 Stunden 40 Stunden pro Woche
gearbeitet, landet man schnell bei 30000.
Richtig, diese Zahl wurde offiziell schon 1993 festgestellt. Das
riecht nach gewaltigem Stillstand. Und dieses Volumen wurde bis vor
kurzem vom früheren Arbeitsdirektor Peter Hartz mit seiner Vorliebe
für „intelligente“ Lösungen verbrämt. In dieser großen Zahl liegt
zudem begründet, warum VW die Diskussion nicht mehr los wird, gleich
ein komplettes Werk dicht zu machen. Die Überkapazitäten belasten die
Rentabilität – ein chronischer Missstand. Auch Altmeister Ferdinand
Piëch, der für VW lange eine „Sonderkonjunktur“ behauptet hatte,
konnte nie sein Umsatzrenditeziel von 6,5% verwirklichen. Später kam
dann mit der Ära Pischetsrieder der Switch zum neuen Renditeziel
einer Kapitalrendite nach Steuern von 9%. Erreicht wurden zuletzt
mickrige 1,2%.
Es fällt schon auf, dass nach dem Hartz-Abgang lieb gewonnene
Strukturen in Wolfsburg zügig aufbrechen. Aber Hartz ist beileibe
nicht für den gesamten Schlamassel verantwortlich. Dieser Konzern
wälzte unangenehme Entscheidungen schon immer gerne ab. Stichwort ist
die „55er Regel“, nach der früher, wenn die Not besonders groß war,
bereits 55-Jährige zulasten der Solidarsysteme in den Vorruhestand
geschickt wurden. Jetzt soll der Altersvorruhestand auf den Jahrgang
1951 und bei Bedarf auf 1952 ausgedehnt werden. Auch auf der
Klaviatur von Aufhebungsverträgen wird operiert werden. Mangels
finanzieller Masse wird das sehr überschaubar ausfallen.
Dass VW endlich handeln will, ist die gute Nachricht, wenngleich
derzeit noch viel Verhandlungstaktik mit im Spiel ist. Die schlechte:
In den USA und China herrscht Düsternis, die Produktpipeline ist leer
– und die erneuerten Produkte Golf und Passat bringen operativ nicht
mehr viel. Dass jetzt von den Beschäftigten ein Beitrag eingefordert
wird, dokumentiert ein erkleckliches Maß an Einfallslosigkeit. Aber
immerhin scheint in Wolfsburg allmählich Schluss mit der
Realitätsverweigerung zu sein.

Rückfragen bitte an:

Börsen-Zeitung
Redaktion
Telefon: 069--2732-0

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