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Börsen-Zeitung: Rechtsfrieden, Kommentar von Bernd Wittkowski zum voraussichtlich baldigen Ende des Mannesmann-Prozesses

Frankfurt (ots)

Das wohl spektakulärste
Wirtschaftsstrafverfahren der deutschen Nachkriegsgeschichte ist so 
gut wie beendet. Dieses "Vor-Urteil" sei gestattet, auch wenn das 
Landgericht Düsseldorf seine Entscheidung über die von den 
Verteidigern Josef Ackermanns angeregte und von der 
Staatsanwaltschaft akzeptierte Einstellung des Mannesmann-Prozesses 
gegen Auflagen erst in der neuen Woche treffen und verkünden wird. 
Aber realistischerweise ist ein anderer Beschluss der 10. Großen 
Wirtschaftsstrafkammer als die Einstellung kaum vorstellbar, nachdem 
dem öffentlichen Interesse an der Strafverfolgung sogar aus Sicht der
Ankläger mit monetären Mitteln abgeholfen werden kann. Darüber, dass 
in diesem Fall die Schwere der Schuld nicht entgegensteht - zweite 
Bedingung der Strafprozessordnung für die Einstellung -, sollte nach 
den Erkenntnissen aus mehr als sechseinhalb Jahren, die die Causa 
Mannesmann inzwischen anhängig ist, ohnehin Konsens bestehen.
Dieses Ende des Prozesses wird und kann nicht alle Teile der 
Öffentlichkeit zufrieden stellen. Denn für viele ist "Mannesmann" zum
Synonym geworden für Vergütungsexzesse einzelner Manager oder für 
deren Verlust an Bodenhaftung. In Wirtschaftskreisen wurde derweil 
verschiedentlich - gleichermaßen überhöht - schon der ganze Standort 
Deutschland in Gefahr gesehen, weil jegliches freie Ermessen bei 
Vergütungsentscheidungen justiziabel zu werden schien.
Terra Incognita
Doch unabhängig davon, ob man sich der oft allzu pauschal 
vorgebrachten Kritik an der "Selbstbedienungsmentalität" in 
Vorstandsetagen anschließen mag oder auf der anderen Seite die nicht 
minder hochgespielte Sorge um eine Jagd auf Werte schaffende 
Leistungsträger teilt: beim Düsseldorfer Landgericht und beim 
Bundesgerichtshof (BGH) stand weder die Moral der Manager auf dem 
Prüfstand, noch war die Justiz drauf und dran, ein Verdikt gegen die 
unternehmerische Freiheit im Allgemeinen zu sprechen. Es ging 
schlicht darum, ob das objektiv gesehen beispiellose Verhalten der 
Angeklagten bei der Gewährung von rund 57 Mill. Euro an 
Anerkennungsprämien und Pensionsabfindungen im Zuge der 
Mannesmann-Übernahme durch Vodafone eine vorwerfbare, schuldhaft 
begangene schwere Untreue bzw. Beihilfe dazu darstellt.
An der Beantwortung dieser Frage sind Staatsanwälte und Richter 
gescheitert, und sie mussten daran scheitern. Nicht allein, dass der 
Straftatbestand der Untreue sowieso seit jeher mit hoher 
Rechtsunsicherheit behaftet ist: die Rechtmäßigkeit oder 
Rechtswidrigkeit nachträglicher Boni speziell in diesem, eben in 
Dramaturgie und Dimension beispiellosen Fall zu beurteilen hieß für 
alle Beteiligten umso mehr, sich auf Terra Incognita zu begeben. Das 
wurde schon im Stadium der Vorermittlungen evident, als die 
Strafverfolger einen Anfangsverdacht gegen Mannesmann-Chef Klaus 
Esser zunächst verneinten, bevor dann der Generalstaatsanwalt 
Ermittlungen anordnete und de facto im nordrhein-westfälischen 
Justizministerium für die Anklageerhebung entschieden wurde. Ein 
solches justizinternes Hickhack macht eine derart gravierende 
Anschuldigung nicht gerade glaubwürdiger und erscheint im Übrigen 
allgemein nicht geeignet, das Vertrauen der Bürger in die 
Rechtspflege zu festigen.
Weiter mit Ackermann
Unerschlossen blieb das Gelände bis zur Revisionsentscheidung des 
BGH. Mit diesem Urteil wurden im vergangenen Dezember erstmalig 
höchstrichterliche Leitlinien für die Gewährung nachträglicher 
Prämien ohne vertragliche Grundlage aufgestellt. Erst seither ist 
insoweit jene Rechtssicherheit hergestellt, die während der 
Übernahmeschlacht um Mannesmann fehlte. Für die sechs Angeklagten 
bestand mithin auch und gerade auf Basis des BGH-Urteils die 
realistische Aussicht auf erneuten Freispruch, zumal die Bestrafung 
eines objektiven Regelverstoßes - falls ein solcher denn festgestellt
worden wäre - den hier wohl kaum zu führenden Nachweis von Vorsatz 
und Unrechtsbewusstsein erfordert hätte.
Vor diesem Hintergrund und eingedenk der Perspektive eines schier 
endlos fortgesetzten, in vielen Facetten ohnehin längst einer 
akademischen Auseinandersetzung gleichenden Rechtsstreits ist die 
Verfahrenseinstellung gegen Auflagen der angemessene Weg, den 
Rechtsfrieden wiederherzustellen. Auf die Chance des endgültigen 
Freispruchs verzichten die Angeklagten damit freilich. Das ist, neben
den durchaus spürbaren Geldauflagen, der von ihnen zu zahlende Preis 
für die Abkürzung dieses sämtliche Beteiligten über alle Maßen 
belastenden Verfahrens.
Aber auch ohne Freispruch: Deutsche-Bank-Chef Ackermann, Esser und
die Mitangeklagten verlassen den Gerichtssaal, sofern die Kammer die 
Einstellung erwartungsgemäß beschließt, als Unbescholtene, 
rechtstechnisch gesagt: als nicht Vorbestrafte. Dies ist neben der 
fachlichen Qualifikation die entscheidende Voraussetzung dafür, eine 
deutsche Bank führen zu dürfen. Ackermann, dessen Vertrag im Februar 
bis 2010 verlängert worden ist, bleibt der Deutschen Bank folglich 
erhalten - und dem Finanzplatz, um den er sich gleichermaßen verdient
macht. Das ist über die Reparatur des Rechtsfriedens hinaus eine gute
Nachricht.
(Börsen-Zeitung, 25.11.2006)

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