Weser-Kurier: Der "Weser-Kurier" (Bremen) kommentiert in seiner Ausgabe vom 18. Februar 2012 den Rücktritt von Bundespräsident Christian Wulff:
Bremen (ots)
Was hinterlässt Christian Wulff? Und was hinterlassen zwei aufschlussreiche Monate, die einen langen und intensiven Blick erlaubten in ein dichtes Gewebe von Wirtschaft und Politik, von Gier und Macht? Zunächst eine tragische Figur. Niemanden, mit dem man Mitleid haben müsste, aber jemanden, der sich durch oder in der Politik zu einer bizarren Figur formte oder formen ließ: zum Präsidenten der Scheinheiligkeit. Wenigstens diesen Titel wird Wulff so schnell niemand streitig machen können. Mit der Fassade Schwiegermutters Liebling - adrett und nett, blass, aber höflich - machte Wulff in der CDU Karriere. Zu Unternehmers Liebling wurde er als Ministerpräsident. Er ließ er sich hofieren und aushalten. Er verlor er den politischen Instinkt und den Stil, das Maß und die Skrupel. Vielleicht sogar einen Teil seines Verstands. Denn die Worte, die er heute zum Rücktritt fand, zeigen einmal mehr: Der Mann hat nichts begriffen. Es geht und ging nicht um strafrechtliche Relevanz. Es ging um Untadeligkeit, um Rückgrat, um Ehre, um Würde. So Wulff das mal besessen haben sollte, geblieben ist davon nichts. Was bleibt noch? Manche hoffen, dass der Fall Wulff die Medien und die Gesellschaft gelehrt hat, genauer hinzusehen und keine Ruhe zu geben. Es heißt, es habe sich gezeigt, dass die Selbstreinigungskräfte der Gesellschaft wirken, dass die Demokratie gestärkt worden sei. Schön wär's. Doch wie naiv muss man sein, wenn man glaubt, dass allenthalben im Land die Politiker nun mit ihren guten Freunden in der Wirtschaft brechen, Einladungen zu Sausen freundlich zurückweisen und auf Vorteile ihres Amts verzichten. Sie werden künftig nur besser aufpassen, damit sie nicht erwischt werden. Und so hinterlässt Wulff zwar eine gewisse Genugtuung, dass ein dickes Fell, Langmut und Sitzfleisch als Qualifikationen letztlich nicht ausreichen und dass dieses Land einen Repräsentanten bekommt, der im Vergleich zu Wulff nicht anders sein kann als bescheiden und demütig. Aber neben Wulff bleibt in der langen Ahnengalerie der Maß- und Skrupellosen, der Späths und Glogowskis, der Streibls und Krauses, auch noch ein Platz frei. Die Vergangenheit lehrt, dass er auch dieses Mal nicht lange leer bleiben wird.
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