Weser-Kurier: Kommentar zur anonymen Bewerbung
Bremen (ots)
Zugegeben: Wer kauft schon gerne die Katze im Sack. Neue Hemden, Hosen und Schuhe werden vorher angezogen, bevor sie in den eigenen Kleiderschrank wandern. Vom unbekannten Käse aus der Normandie oder dem mit so herrlichen Worten angepriesenen Roten aus dem Veneto probiert man erst und entscheidet dann, ob und wie viel man sich davon in seinen Einkaufswagen legt. So ist das eben! Und um noch eine weitere abgegriffene Lebensweisheit zu bemühen: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Warum also sollte es anders sein, wenn ein Handwerksmeister neue Auszubildende oder Gesellen sucht? Warum sollte der Personalchef eines Unternehmens sich damit zufrieden geben, Bewerbungen ohne Namen, Foto, Angabe des Geschlechts und der Nationalität zu akzeptieren? Weil eine anonymisierte Bewerbung die Chancengleichheit erhöht! Weil ein solches Verfahren fairer ist, besonders für Frauen und Migranten! Klar, dazu brauchte es nicht erst ein Modellprojekt - dieses Ergebnis lag auf der Hand. So vorurteilsfrei ist unsere Gesellschaft leider (noch) nicht, dass nicht immer wieder ein Foto, ein fremder Name oder das Geschlecht des Bewerbers mitentscheiden über berufliche Karrieren. Dabei sollte einzig und allein die Qualifikation zählen, doch das ist und bleibt wohl auch weiterhin graue Theorie. War also alles umsonst? Hätte man sich dieses Modellprojekt sparen können? Nein, denn zum einen hat es wieder einmal gezeigt, dass der Weg hin zu einer offenen und vorurteilsfreien Gesellschaft noch sehr weit ist. Und zum anderen führt es eindrucksvoll vor Augen, wie stark sich die meisten von uns immer noch beeinflussen lassen von, ja genau, von Äußerlichkeiten. Und das ist nicht nur auf dem hart umkämpften Arbeitsmarkt so, das erleben zum Beispiel Menschen auf Wohnungssuche ebenso. Wenn also auch nur einige wenige Firmen bereit sind, den Weg der anonymisierten Bewerbung weiter zu gehen, dann ist das ein Fortschritt. Wenn andere Unternehmen das Verfahren auch einmal testen wollen, macht das Hoffnung. Sicher: Es ist eine Illusion zu glauben, die Welt könnte plötzlich gerecht werden und frei von Diskriminierung. Doch dieses Projekt zeigt auf, wovon wir uns noch viel zu häufig leiten lassen. Allein diese Erkenntnis kann helfen, sich auf die wirklichen Potenziale der Bewerberinnen und Bewerber zu konzentrieren. Und die haben eben mit Herkunft, Geschlecht und Aussehen nichts zu tun.
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