Weser-Kurier: Über Orbans Rückzieher schreibt Bernhard Odehnal:
Bremen (ots)
Ungarns Regierung führte in den vergangenen Jahren viele neue Steuern ein: Auf fette Lebensmittel, auf Banküberweisungen und auf vieles mehr. Der Protest blieb harmlos. Dass eine relativ geringe Besteuerung von Gigabytes zu Massendemonstrationen führte und die tot geglaubte Zivilgesellschaft wiederbelebte, hat den ebenso machtbewussten wie heftig kritisierten Regierungschef ganz offensichtlich überrascht und verwirrt. Aus Viktor Orbans Sicht drohte die Lage außer Kontrolle zu geraten. Bei der ersten Demonstration am vergangenen Sonntag ging es tatsächlich noch um die Besteuerung des Internets. Zwei Tage später aber gingen in ganz Ungarn mehr als 50<ET>000 Menschen gegen das System Orban an sich auf die Straße. Sie protestierten gegen die Korruption an der Staatsspitze, gegen die Einschränkung der Medienfreiheit, gegen einen außenpolitischen Kurs, der Ungarn in die Arme Russlands und Chinas treibt. Als der Demonstrationszug vor dem Budapester Parlament Halt machte, hielt dort jemand die EU-Flagge aus dem Fenster. Es war ein Akt des Widerstands: Unter Orban war die Europaflagge entfernt und durch die Flagge einer ungarischen Minderheit in Rumänien ersetzt worden. Mit seiner antidemokratischen, antiwestlichen Politik hat Orban den Bogen überspannt. Nicht nur für die Zehntausende von Demonstranten. Auch nach Ansicht der US-Regierung. Über sechs hohe ungarische Beamte wurde ein Einreiseverbot in die USA verhängt. Sie sollen von amerikanischen Firmen Bestechungsgeld verlangt haben. Der ehemalige Präsident Bill Clinton kritisierte Orbans "antidemokratische Politik", Außenminister John Kerry weigerte sich, seinen ungarischen Amtskollegen zu empfangen. Und langsam scheint auch die EU-Kommission die Geduld zu verlieren. Sie verurteilte die Internetsteuer als "Teil eines beunruhigenden Musters von Taten und Gesetzen". Orban hat aber immer noch den Rückhalt der Europäischen Volkspartei. Und der Geldhahn bleibt offen: Ungarn wird in den kommenden Jahren mehr als 30 Milliarden Euro aus Brüssel bekommen. Orban erklärte jetzt in einer Radioansprache, er wolle nicht "gegen das Volk" regieren. Eine neue Steuer wird kommen, wahrscheinlich in anderer Form, mit anderem Namen. Um sie zu legitimieren, will die Regierung die Wähler per Brief befragen. Die Rücknahme der ursprünglichen Steuerpläne ist dennoch eine schwere Niederlage für Ungarns Ministerpräsidenten. Die Aura der Unbesiegbarkeit ist verflogen.
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