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Rheinische Post: Deutschland driftet nach links

Düsseldorf (ots)

Von Sven Gösmann
Was für ein Wahlabend! Ein erster Erklärungsversuch in fünf 
Thesen.
Erste These: Deutschland driftet nach links. Der wahre Gewinner der 
Wahlen heißt  Oskar Lafontaine.
Wir werden uns dauerhaft auf Fünf-Parteien-Parlamente einstellen 
müssen. Die Linkspartei wird gesellschaftsfähig. In einer Zeit, in 
der Banken und Manager vieles tun, ihre Leitfunktion zu zerstören, 
findet der begnadete Demagoge Lafontaine mit seiner Beschwörung der 
angeblich besseren Vergangenheit einen positiven Resonanzboden. Die 
anderen Parteien tragen dazu bei, die Linkspartei hoffähig, 
möglicherweise auch bald im Westen koalitionsfähig zu machen. Die SPD
hat viele der Lafontainschen Positionen übernommen, ob beim 
Mindestlohn oder bei der Aufweichung von Hartz IV. Für die Grünen 
gehört der etatistische Politikansatz ohnehin zum genetischen Code. 
Die Union hat außerhalb von Sonntagsreden noch keine einheitliche 
Strategie gegen die linken Verheißungen entwickelt. Vielmehr gibt es 
auch aus ihren Reihen die Rufe nach einer Generalrevision der 
Arbeitsmarktreformen, wird bei einzelnen Führungsfiguren ein 
schwammiges Verhältnis zum Leistungsgedanken offensichtlich, der eben
auch Teil der sozialen Marktwirtschaft ist. In komplizierten Zeiten 
ist die Sehnsucht nach einfachen Antworten groß. Bis zur 
Bundestagswahl 2009 wird es eine Renaissance des Sozialen geben, 
einen Überbietungswettbewerb im Versprechen von Wohltaten.
Zweite These: Wir haben in Hessen und Niedersachsen typische 
Regionalwahlen erlebt.
Roland Koch und die hessische CDU haben ihr Debakel zu weiten Teilen 
selbst verursacht, besonders durch ihre in der bundesweiten Debatte 
zu wenig beachtete verkorkste Bildungspolitik. Die Debatte um das 
Turbo-Abitur in zwölf Jahren und unerfüllte Versprechen für Schulen 
und Hochschulen war laut Umfragen ein entscheidendes Motiv für die 
Wahlentscheidung eines Viertels der Hessen. In Niedersachsen dagegen 
legte Wulff eine solide Bilanz vor: Wenig versprochen, kein Wort 
gebrochen.
Dritte These: Wir haben in Hessen mehr als eine Regionalwahl 
erlebt.
Hessen war immer ein "knappes Land". Kochs Ausnahme-Ergebnis von 2003
war nicht zu wiederholen. Mit ihm stellte sich in Hessen der letzte 
ausgewiesene konservative Unionspolitiker zur Wahl. Hier lag der 
Grund für die geballte Attacke der Linken. Sie inszenierte 
erfolgreich einen Kulturkampf gegen Koch. Zudem verfing der 
Mindestlohnwahlkampf der SPD als eine Kampagne, die einer 
auseinanderdriftenden Gesellschaft Harmonie versprach  im Gegensatz 
dazu wurde Kochs Feldzug gegen die Jugendkriminalität von Ausländern 
als spalterisch empfunden. Dass Reden und Handeln Kochs auf diesem 
Feld nicht immer deckungsgleich waren, lenkte zusätzlich Wasser auf 
die Mühlen derer, die Koch mangelnde Glaubwürdigkeit vorhalten.
Vierte These: Angela Merkel ist gestärkt und geschwächt zugleich.
Die Kanzlerin kann aus dem Wahlsieg Wulffs ableiten, dass dessen 
moderierender Regierungsstil vom Wahlvolk geschätzt wird und damit 
auch ihre Art, die Bundes-CDU und die Bundesregierung zu führen. 
Allerdings wird der konservative Flügel ihrer Partei durch die Art 
und Weise, wie sie Koch nur halbherzig unterstützte, in seiner Kritik
an Merkel bestärkt. Und ihr alter Widersacher Koch ist als 
angeschossener, aber noch nicht erlegter Löwe besonders gefährlich.
Fünfte These: SPD-Chef Kurt Beck ist gestärkt und geschwächt
zugleich.
Beck wertet das hessische Ergebnis als Bestätigung seines Linkskurses
auf Bundesebene, Niedersachsen als Betriebsunfall der Marke 
"schwacher Kandidat gegen starken Amtsinhaber". Doch die SPD erlebt 
auch das Erstarken der Linkspartei  im Westen Fleisch von ihrem 
Fleische. Nun steht Beck vor der Frage, seine Glaubwürdigkeit durch 
Bündnisse mit der Linken zu verlieren oder aber auf längere Sicht mit
der SPD nicht mehrheitsfähig zu sein. Die Zahl seiner strategischen 
Optionen ist begrenzt. Er kann zudem aus dem von Sondereffekten 
geprägten Ergebnis im einst immer "roten" Hessen noch keine 
dauerhafte Morgenröte seiner Partei ableiten. Beck bleibt ein 
Getriebener, kein Antreiber.

Pressekontakt:

Rheinische Post
Redaktion

Telefon: (0211) 505-2303

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