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Rheinische Post: Mannheim liegt in Brandenburg

Düsseldorf (ots)

Von Sven Gösmann
Man kann ahnen, dass Oskar Lafontaine gestern aus dem Weinkeller 
seiner Villa im toskanischen Landhausstil einen besonders guten Roten
geholt und sich dann wieder in den Fernsehsessel gesetzt hat, um sich
an den neuesten Meldungen aus der Sozialdemokratie zu ergötzen. Seine
alte Partei, die SPD, von jeher mit der wählervergraulenden 
Befähigung zum Dramolett versehen, führte am brandenburgischen 
Schwielowsee allerdings ein ganz anderes Stück auf als erwartet. Der 
Neustart der SPD mit Frank-Walter Steinmeier als Kanzlerkandidat 
geriet zum Putsch gegen ihren Chef Kurt Beck.
Stundenlang zeigten die Nachrichtensender hilflos das Bild zweier 
leerer Stehpulte, an denen eigentlich einträchtig Beck und Steinmeier
ihre Tandemlösung "gestärkter Parteichef und hoffnungsreicher 
Kanzlerkandidat" präsentieren sollten. Die Ehrenbezeugungen für Beck,
die schließlich zu vernehmen waren, klangen ähnlich heuchlerisch wie 
die Erklärungen, die 1995 nach dem Lafontaine-Putsch gegen Rudolf 
Scharping auf dem Mannheimer Parteitag verbreitet wurden.
Oskar Lafontaine war diesmal wieder mit von der Partie - wenn auch 
nur indirekt. Auf seinem Rachefeldzug gegen die Partei, die ihm ihre 
Liebe entzog, kann er einen weiteren Punktsieg verbuchen. Seitdem er 
mit seiner Linkspartei die Sozialdemokraten vor sich her treibt, hat 
die SPD nun ihren fünften Vorsitzenden verschlissen und muss mangels 
geeignetem Personal mit Franz Müntefering auf einen eigentlich an 
dieser Aufgabe schon Gescheiterten zurückgreifen. Der brave Beck, in 
Berlin immer ein Fremder geblieben, dürfte das als zusätzlichen 
Tiefschlag empfinden. Vom Schwielowsee kehrt nach Berlin und Mainz 
ein geschlagener Haufen zurück, der sich über sich selbst erschrecken
muss. Keine Partei, der man im Moment das Land anvertrauen möchte, 
eher ein Fall für die Selbsthilfegruppe.
Kurt Beck offenbart in seiner Rücktrittserklärung in seltener 
Freimütigkeit, dass er von Steinmeier und Müntefering zum Rücktritt 
gemobbt wurde. Die restliche Parteiführung war nicht eingebunden und 
fügt sich vorerst verdattert. Doch schon werden erste Stimmen laut, 
die das Vorgehen kritisieren und in Wahrheit die beiden neuen, alten 
Vorleute meinen.
Die SPD mag die Köpfe an der Spitze ausgetauscht haben, die Frage 
ihrer programmatischen Ausrichtung bleibt unbeantwortet. Weite Teile 
der Partei sehnen sich zurück nach dem Kurs der Lafontaine-Zeit. Ihre
SPD steht für Umverteilung, einen üppigen Sozialstaat, der zuerst den
Steuerzahler und danach den Transferleistungsempfänger selbst in die 
Pflicht nimmt. Diese linke Sehnsucht wird mit dem neuen 
Führungspersonal nicht zusammengehen. Steinmeier wie Müntefering 
gehören zu den bekennenden Mitautoren der Hartz-Reformen. Beide haben
die Agenda 2010 immer gegen die Kritik der Linken inner- und 
außerhalb ihrer Partei verteidigt. Just diese Linie aber will der 
Parteiflügel kippen, um so die Mehrheitsfähigkeit der SPD 
wiederzuerlangen - und sei es mit Hilfe der Lafontainschen 
Linkspopulisten.
Weichen Steinmeier und Müntefering um des Parteifriedens willen aber 
von ihrer bisherigen Linie ab, machen sie sich unglaubwürdig. 
Besonders Steinmeier, der in Wahrheit für die Wähler ein 
unbeschriebenes Blatt ist, steht ab sofort als Kanzlerkandidat unter 
ganz anderer Beobachtung. Ab heute wird von ihm mehr erwartet als 
Reisediplomatie und beruhigende Worte zur Weltlage - jede seiner 
Äußerungen wird von seiner Partei, dem politischen Gegner und den 
Medien daraufhin seziert werden, ob sie der bisherigen SPD-Linie 
entspricht.
Die erste Nagelprobe steht in wenigen Wochen bevor, wenn in Hessen 
Andrea Ypsilanti ihren zweiten Anlauf unternimmt, sich mit Hilfe der 
Linkspartei zur Ministerpräsidentin wählen zu lassen. Steinmeier, ein
entschiedener Gegner dieser Harakiri-Taktik, darf dazu nicht 
schweigen. Täte er es doch, wäre das ein Zeichen von Schwäche. Und es
würde den Verdacht nähren, dass er es nach der Bundestagswahl genau 
so machen würde. Ob Steinmeier, der noch nie einen Wahlkampf in 
vorderster Linie zu bestehen hatte, für all das die Nerven hat, muss 
sich erweisen. Gestern sagte er - mehr als sich selbst als an die 
Öffentlichkeit gewandt- jetzt lägen bis zur Bundestagswahl am 27. 
September nächsten Jahres 385 Tage Wahlkampf vor der SPD. Diesen 
Wahlkampf, davon kann man seit gestern ausgehen, wird Steinmeier vor 
allem in seiner eigenen Partei führen muss.

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Rheinische Post
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